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“A lot of people misunderstand me. That’s because they don’t know me at all.” – Michael Jackson

Wichtige Daten in HIStory

Willa, Lisha und Joie diskutieren die Bedeutung der Daten, die im Song HIStory vorkommen. Sie stellen fest, dass diese Daten die Verbindung zwischen verschiedenen Musikkulturen und -epochen herstellen, indem sie die Geburtstage wichtiger Musikpersönlichkeiten sowie historische Ereignisse markieren. Sie beziehen sich auch auf den Paradigmenwechsel von geschriebener zu aufgenommener Musik und die Veränderung in der Wahrnehmung und Nutzung von Musiktechnologie. Die Diskussion zeigt, wie HIStory nicht nur eine Sammlung von geschichtsträchtigen Ereignissen ist, sondern auch eine Reflexion über den Wandel in der Musikgeschichte selbst.

Joie: Heute hat sich Willa und mir unsere alte Freundin und regelmäßig Mitwirkende Lisha McDuff angeschlossen und wir werden über die Titelnummer von Michaels Album HIStory sprechen. Genauer gesagt reden wir über einen bestimmten Aspekt dieser Titelnummer. Danke, dass du hier bist, Lisha!

Lisha: Ich danke euch sehr für die Einladung!

Joie: OK Ladys, ich habe hier eine Frage, von der ich weiß, dass wir alle schon viele, viele Male darüber nachgedacht haben, und ich könnte wetten, dass so gut wie jeder Michael Jackson Fan mindestens Dutzende Male während dieses vielschichtigen Songs darüber gegrübelt hat. Was bedeuten all diese Daten am Beginn und am Schluss von HIStory, und haben sie über ihre offensichtliche Bedeutung für den Rest der Welt hinaus eine persönliche Bedeutung für Michael?

Willa: Ich denke, sie haben eine enorme Bedeutung. Es gibt etwa zwei Daten zu Beginn des Tracks, die separat hervorgehoben werden – alle anderen Daten kommen am Schluss. Und wie du, als wir anfingen, darüber nachzudenken, einen Post über HIStory zu machen, festgestellt hast, Lisha, haben diese beiden eine ganz spezielle Bedeutung.

Lisha: Genauso ist es. Die ersten Worte des Songs, die gesprochen werden, lauten: „Montag, 26. März 1827“ und „28. November 1929“. Obwohl es nirgends ausgesprochen wird, worauf sich diese Daten tatsächlich beziehen, halte ich es für interessant, dass diese zufällig zwei wichtige Daten der Musikgeschichte darstellen: Es sind der Todestag Ludwig van Beethovens und der Geburtstag von Berry Gordy, Jr.

Willa: So sehe ich das auch. Indem er diese beiden Daten auf diese Art zusammenbringt, darf man vermuten, dass Michael Jackson eine Verbindung oder eine Beziehung zwischen diesen beiden Männern sah. Wir neigen nicht dazu, an diese beiden im Zusammenhang zu denken, aber Michael Jackson bewunderte sie außerordentlich, und sie hatten beide einen riesigen Einfluss auf die Musikgeschichte. Genauer gesagt, sie waren jeweils bedeutende Übergangsfiguren in der Geschichte der Musik.

Ich denke, die meisten Menschen würden zustimmen, dass Beethoven einer der größten klassischen Komponisten war, wenn nicht sogar der größte. Aber er bereitete auch den Übergang in die romantische Periode der Musik. Du weißt wesentlich mehr darüber als ich, Lisha, aber er half bei der Überleitung vom Klassizismus zur Romantik, richtig?

Lisha: Das ist absolut richtig. Beethoven schien gleichzeitig einen Fuß in der Ära der Klassik und den anderen in der Romantik der westlichen Musik zu haben. Er wird als Brücke zwischen diesen beiden Perioden ansehen.

Willa: Und als Gründer von Motown war Berry Gordy ebenso eine Übergangsfigur. Er bereitete den Weg für die Integration „schwarzer“ Musik in den „weißen“ Mainstream auf eine Art, die äußerst populär sowohl bei Schwarzen, als auch bei Weißen war. Und das veränderte das Gesicht der Musik in Amerika und der ganzen Welt.

Lisha: Berry Gordy definierte Pop neu, indem er darauf bestand, dass dieser ebenso schwarz wie weiß war, und dies hatte eine große Anziehungskraft auf das breite Publikum. Gordys Einfluss ist nicht nur in der amerikanischen Popkultur zu spüren, sondern in der ganzen Welt, wie du sagst. Er ist unzweifelhaft eine der bedeutendsten Personen aller aufgezeichneter Musik.

Ich muss sagen, diese beiden Daten da oben zu zitieren, ist solch eine interessante Entscheidung, wir könnten wahrscheinlich unsere gesamte Diskussion nur auf diese Daten konzentrieren!

Joie: Ich stimme zu.

Willa: Ich auch.

Lisha: Ich vermute auch, dass diese Daten nicht nur für das hervorgehoben wurden, was jeder dieser Männer erreicht hat, sondern auch dafür, wie ihre Leistung historisch eingeordnet wurde.

Es ist keine Frage, dass Beethoven für einen der bedeutendsten Komponisten in der gesamten Musikgeschichte gehalten wird, wenn nicht sogar für den bedeutendsten. Wie wir über Beethoven denken ist fundamental für unsere Auffassung darüber, was ein Komponist ist, was ein musikalisches Werk ist, was geistiges Eigentum ist und was ein musikalisches Genie ist. Die Geschichte der westlichen Musik kreist auf viele Arten rund um Beethoven als Musterbeispiel und um die österreichisch-deutschen musikalischen Grundprinzipien. Es ist die Musikgeschichte von Bach, Mozart, Beethoven und Brahms, die uns allen in der einen oder anderen Form nahegebracht wurde.

Aber Wissenschaftler hinterfragen dies zunehmend. Ist es wirklich sinnvoll, dass musikalisches Genie auf bestimmte zeitliche Perioden in Österreich und Deutschland eingegrenzt werden kann? Und was ist musikalisches Genie überhaupt? Die Zeit ist reif dafür, ein wenig kritischer darüber nachzudenken und ich vermute, Michael Jackson hat etwas darüber nachgedacht, als er den Tod Beethovens und die Geburt von Berry Gordy zu Beginn des Songs hervorgehoben hat. Ich denke, wir sind alle programmiert worden, Beethoven schrecklich ernst zu nehmen, aber wir denken normalerweise nicht auf die gleiche Art über populäre Musik oder über nicht europäische Komponisten.

Willa: Ich stimme dir vollkommen zu. Im Allgemeinen neigen Kritiker zu einer strikten Trennung zwischen Komponisten „hoher Kunst“ wie Beethoven und Produzenten „populärer“ Musik wie Berry Gordy, und es grenzt schon fast an Ketzerei, sie in einem Atemzug zu erwähnen. Aber Michael Jackson hinterfragte diese Trennung zwischen hoher und populärer Kunst ständig, und dies ist ein weiteres großartiges Beispiel dafür.

Es ist ebenfalls interessant, Lisha, dass du den Bezug zu „Montag, 26. März 1827“ nicht nur in Hinsicht auf Beethovens Tod siehst, sondern auch als stellvertretend für den „Tod“ des Grundprinzips. Ist das richtig? In der klassischen Musik, genauso wie in anderen Formen der „hohen Kunst“ wie der Literatur, Malerei, Bildhauerei, Architektur oder sogar in relativ neuen Formen wie Film, tendieren die Grundprinzipien dazu, von längst verstorbenen weißen Männern dominiert zu werden, wie man so schön sagt. In diesem Sinn also, indem er Beethovens Todesdatum Berry Gordys Geburtsdatum gegenüberstellt, deutet Michael Jackson den „Tod“ einer Art über Musik zu denken an – nämlich der Art, welche eine kleine Gruppe von Männern aus Österreich und Deutschland privilegiert, wie du sagtest – und hinführt zur „Geburt“ einer neuen Art über Musik zu denken.

Lisha: Ja, ich glaube, dass Michael Jackson ein neues Paradigma hervorhebt und uns dazu einlädt, über populäre Musik und amerikanische musikalische Leistungen wesentlich ernsthafter nachzudenken. Aber, ob du es glaubst oder nicht, die Vergötterung der großen „verstorbenen, weißen Männer“ der Musikgeschichte ist ein eher neueres Phänomen (historisch gesprochen, das ist 19. und 20. Jahrhundert), das sich eigentlich um unsere Ehrfurcht vor Beethoven dreht. Auf vielerlei Arten repräsentiert der Tod Beethovens die Geburt, nicht den Tod des musikalischen Grundprinzips. Also deutet Jackson vielleicht an, dass der Tod des Grundprinzips am besten durch die Geburt Berry Gordys repräsentiert wird.

Willa: Oh, interessant!

Lisha: Die ganze Vorstellung des musikalischen Genies (gemeinhin konzipiert als der einzelne, autonome, leicht verrückte Komponist, etwas entrückt, der seiner Kunst treu ist, indem er politischem Druck oder wirtschaftlichen Erwägungen widersteht) basiert mehr oder weniger darauf, in welchen geschichtlichen Zusammenhang wir Beethoven stellen. Frühere Komponisten, wie Bach und Mozart, waren bei der Kirche angestellt oder am Hof und ihre Musik wurde in erster Linie dafür geschaffen, die Bedürfnisse ihrer Arbeitgeber zu befriedigen und deren Sichtweisen und Ideale auszudrücken.

Aber Beethoven hinterfragte dies und hatte das Gefühl, Künstler sollten autonomer und freier sein von Beeinflussungen oder weltlichen Forderungen. Als Ergebnis seines Einflusses wurde die Rolle des Komponisten erhöht und Komponisten wurde schließlich mehr Status, Anerkennung und Kontrolle über ihre Arbeit gegeben. Musiker fokussierten sich sehr darauf, der Vision des Komponisten und dem großen „musikalischen Werk“ zu dienen, einem Konzept, das Beethoven zugeschrieben werden kann.

Es ist interessant, dass in den Liner Notes von HIStory ein Klangausschnitt aus dem Kinderfilm Beethoven Lives Upstairs Credits gegeben werden. Um ehrlich zu sein, ich habe diesen Ausschnitt auf dem Track nie gefunden. Ich weiß nicht, ob ich es lediglich übersehe oder ob es einfach nach einer erfolgten Korrektur weggelassen wurde, aber mich interessiert, welchen Bezug dieser Film zu HIStory hat.

Willa: Also, das Glockenläuten im Hintergrund ganz zu Beginn des Films erinnert mich an das Glockengeläut im Hintergrund, während Beethovens Todestag und Berry Gordys Geburtsdatum auf HIStory ausgesprochen werden. Könnte es das sein?

Beethoven lives upstairs

Lisha: Hmmm. Zu Beginn des Films höre ich Kirchenglocken läuten und in HIStory höre ich orchestrale Glockenschläge. Also, ich denke nicht, dass es sich um dieselben Instrumente oder denselben Klangausschnitt handelt. Aber nun, da du es erwähnt hast, ist es wirklich interessant, wie ähnlich das Tempo der Glocken und des Läutens sind. Das ist eine sehr scharfsinnige Beobachtung, Willa. Ich habe auch bemerkt, dass die ersten gesprochenen Worte, sowohl im Film, als auch im Song „Montag, 26. März 1827“ lauten. Von allen Daten, die in HIStory genannt werden, glaube ich, dass dieses das Einzige ist, welches auch den Wochentag („Montag“) einbezieht. Der Rhythmus und das Tempo des Klangs der Stimme aus dem Off klingt ebenfalls sehr identisch für mich. Ich bekomme das Gefühl, dass dieser Film eine größere Inspiration für den Track ist, als ich dachte.

Als ich den Film sah, war ich erstaunt darüber, wie genau dieser das Beethoven’sche Prinzip und den Mythos des Komponisten als einem gottähnlichen, musikalischen Genie verstärkt, das auch eigenartig, schwierig, ein wenig verrückt und schrecklich missverstanden sein kann. Der Film lässt wirklich kein Klischee aus. Aber es ist wahrscheinlich nahezu unmöglich, einen Film über klassische Musik zu finden, der den Komponisten nicht auf diese Weise historisiert. Ich denke zum Beispiel an Amadeus.

Ich weiß nicht, ob jemand von euch die Gelegenheit hat, die neue Broadway-Show Motown The Musical, geschrieben von Berry Gordy, zu sehen, aber es ist eine fabelhafte Produktion, die Gordy ermöglicht, seine eigene Arbeit selbst zu historisieren. Weit entfernt von dem Verlangen, auszudrücken, er sei frei von kommerziellen, ökonomischen Zwängen oder anderen weltlichen Interessen, sagt Gordy, dass er sich Motown als eine Musikfirma vorstellte, welche das Produktionsmodell der Fertigungsstraßen in der Autoindustrie zum Vorbild hatte. Er erklärte dies kürzlich in einem faszinierenden Interview mit dem Theaterkritiker der Chicago Sun-Times Hedy Weiss:

Curtain Call with Hedy Weiss: Berry Gordy assembly line

Willa: Wow, das unterscheidet sich wirklich sehr von dem Beethoven-Modell, nicht wahr? Ich meine, es ist ganz und gar nicht der einzelne Künstler, der allein besessen an seinem Meisterwerk arbeitet, wie du beschrieben hast, Lisha. Eigentlich ist es das genaue Gegenteil.

Weißt du, dies erinnert mich an Andy Warhol, einen anderen Künstler, der die Methoden von Fertigungsstraßen für die Erschaffung von Kunst, speziell seiner Siebdrucke, einbezogen hat – Kunst, die auch die Einteilung von hoher und kommerzieller Kunst infrage stellte, wie wir in einem Post letzten Herbst diskutiert haben.

Lisha: Es ist faszinierend für mich, dass diese Künstler, die in einer heftig kapitalistischen Gesellschaft dieses Modell begrüßten, entweder als Kritik oder als Ausdruck ihrer eigenen Zeit, ihres eigenen Ortes und ihrer Lebensumstände. Denk daran, dass das Songwriter-/Produzenten-/Arrangeur-Team hinter den frühen Hits der Jackson 5 Hits Berry Gordy, Freddie Perren, Fonce Mizell und Deke Richards war und sie bekamen alle die Credits einfach als The Corporation (Das Unternehmen).

Willa: Oh, das ist richtig! Und Andy Warhol nannte sein Studio The Factory (Die Fabrik). Das ist wirklich interessant, dass das, was Berry Gordy in der Musik tat, Andy Warhol parallel dazu in der visuellen Kunst machte.

Aber noch einmal zurück zu den Unterschieden zwischen dem Vorgehen Beethovens und dem von Berry Gordy – ich versuche, darüber nachzudenken, wo man in Bezug auf diese beiden Modelle Michael Jackson einordnen kann, und wie bei so vielen Dingen, scheint er in keines der beiden Lager zu gehören. Wie er viele Male in Interviews erwähnt hat, kamen die Inspirationen und Ideen oft zu ihm, wenn er allein mit seinem Kassettenrekorder war. Aber wenn es darum ging, seine Ideen zu Songs für ein Album weiterzuentwickeln, verfolgte er eine eher gemeinschaftliche Vorgehensweise für die Musikproduktion – eher wie das Modell Berry Gordys.

Lisha: Ja, das stimmt, aber er arbeitete ebenso oft in der Phase der Ideenfindung mit anderen Musikern und Songschreibern zusammen. Es ist ein sehr auf die Zusammenarbeit konzentrierter Anspruch, der die Rolle des Komponisten neu definiert. Das Rockgenre hat eine ganz andere Herangehensweise und schreibt denjenigen Künstlern einen hohen Stellenwert zu, die ihre eigene Musik schreiben, mehr wie das Muster Beethovens. Aber im Pop-/Motown-Modell (auch in der Tradition der Tin Pan Alley / Brill Building) dient der Songschreiber in erster Linie den Zwecken des Künstlers und des Produzenten. In diesem Modell, würde ich sagen, ist es tatsächlich der Performer, dessen Bedeutung hervorgehoben wird.

Allerdings , Michael Jackson spielt in einer eigenen Liga aufgrund der Tatsache, dass er so hochbegabt war als Performer, Sänger, Tänzer, Produzent, Songschreiber, Arrangeur, Lyriker, Musiker, Choreograf, Film-Regisseur, Bühnen-Regisseur, Beleuchtungs- und Kostümdesigner, Geschäftsmann und Marketinggenie … Ich könnte noch weiter machen, aber ihr habt es verstanden. Natürlich gibt es David Bowie, Madonna und Prince als Beispiele anderer multitalentierter Künstler, die auch auf diese Weise arbeiteten. Aber wenn ihr euch anseht, wie tiefgreifend Jackson all diese Disziplinen verstanden hat und die Art, wie er all diese Elemente der Zusammenarbeit aufeinander abstimmte, dann deutet dies an, dass er ein einzigartiges Genie hinter einem wahrlich eindrucksvollen Gesamtwerk war.

Willa: Dem würde ich zustimmen!

Lisha: Wahr ist auch, dass Jackson sehr früh in seinem Leben wohlhabend und mächtig wurde, sodass er frei war von Gedanken über seinen Lebensunterhalt oder Ängsten darüber, dass seine Kunst nicht finanziert werden könnte. Jedoch schien er seinen Erfolg als Künstler oft unter dem Aspekt verkaufter Einheiten zu bemessen. Meine Vermutung ist, dass er glaubte, sein Einfluss und seine Reichweite standen direkt in Beziehung zu starken Verkäufen und aktivem geschäftlichem Handel.

Joie: Wow, ihr beide! Wisst ihr, euch beiden zusammen zuzuhören ist manchmal wirklich faszinierend für mich. Habe ich euch das jemals gesagt? Dies ist bereits eine vollkommen fesselnde Unterhaltung und wir haben gerade erst begonnen!

Willa, ich liebe das, was du gesagt hast über den „Tod“ eines sehr alten und müden Weg des Denkens in der Musik – und wirklich großartiger Musik – die eine kleine Gruppe verstorbener weißer Männer privilegiert. Und, wie Lisha so schön dargelegt hat: „Ist es wirklich sinnvoll, dass musikalisches Genie auf bestimmte zeitliche Perioden in Österreich und Deutschland eingegrenzt werden kann?“ Also, ich denke, wir stimmen alle darin überein, dass Michael in der Tat einige sehr wohldurchdachte Gründe dafür hatte, den Song mit diesen zwei Daten zu eröffnen.

Nun bin ich daran interessiert, etwas über die anderen Daten am Schluss des Songs zu erfahren. Und vielleicht ist es ein wenig seltsam, dass wir uns nur auf jene Daten in dieser Unterhaltung konzentrieren anstatt über die Lyrics oder eigentlich den Song selbst zu sprechen, aber für mich waren die Daten immer der faszinierendste Aspekt an diesem Song. Jedes Mal, wenn ich ihn höre, drehe ich am Schluss die Lautstärke auf, sodass ich versuchen kann ein oder zwei weitere Daten zu entziffern. Es kann zu einer sehr obsessiven Übung werden. Hat jemand von euch sie jemals gezählt? Ist bekannt, wie viele Daten es sind? Willa, du hast angefangen, eine Liste mit diesen Daten anzufertigen, stimmt’s?

Willa: Ja, das habe ich, aber es ist ziemlich holperig, mit großen Lücken zwischen einigen – und ich bin sicher, ich habe andere völlig überhört. Ich habe ziemliche Schwierigkeit bei einigen, sie zu verstehen.

Joie: Ja, so geht’s mir auch.

Lisha: Ich gebe zu, ich hatte damit auch wirklich Probleme. Aber während ich mich damit abgekämpft habe, denke ich, ich habe einen Trick entdeckt, mit dem ich all die Daten heraushören kann. Mit ein wenig Übung und einem guten Paar Kopfhörern ist es möglich, das gesamte Segment eindeutig zu verstehen, ohne eines der erwähnten Daten zu verpassen.

Die gesprochenen Daten am Schluss des Songs sind in vier verschiedene Stränge eingeteilt, die gestaffelt sind und übereinander gelegt wurden. Das Geheimnis, sie herauszuhören, besteht darin, sich auf nur einen Strang gleichzeitig zu konzentrieren, ohne sich von dem konkurrierenden Geräusch ablenken zu lassen. Es ist auch hilfreich, sich auf den Ort des Klangs zu fokussieren. Beispielsweise beginnt der erste Strang im oberen Abschnitt des Klangfeldes, leicht rechts von der Mitte. Es beginnt direkt nach dem letzten Akkord des Songs (5:41) und klingt wie:

11. Februar 1847: Thomas Edison wird geboren

30. Dezember 1865: Rudyard Kipling wird geboren

7. Dezember 1903: Erster Flug der Gebrüder Wright

15. Januar 1929: Martin Luther King wird geboren

14. Oktober 1947: Chuck Yeager durchbricht die Schallmauer

9. Februar 1964: The Beatles treten in der Ed Sullivan Show auf

10. November 1989: Die Berliner Mauer fällt

Nun geht zurück (5:42) und versucht den zweiten Strang zu isolieren, der auf der linken Seite eurer Kopfhörer verortet ist:

18. Januar 1858: Daniel Hale Williams wird geboren

8. August 1866: Matthew Henson wird geboren

29. Mai 1917: John F. Kennedy wird geboren

September 1928: Entdeckung des Penicillins

17. Januar 1942: Muhammad Ali wird als Cassius Clay geboren

12. April 1961: Yuri Gagarins erster Weltraumflug

12. April 1981: Der erste Shuttle Flug

Der dritte Strang ist auf der rechten Seite lokalisiert (5:43):

19. November 1863: Lincoln hält die Rede „Gettysburg Address“

5. Dezember 1901: Walt Disney wird geboren

2. November 1920: Der erste kommerzielle Radiosender wird eröffnet

9. Oktober 1940: John Lennon wird geboren

17. Juli 1955: Disneyland wird eröffnet

20. Juli 1969: Astronauten landen zum ersten Mal auf dem Mond

Schließlich hört noch einmal im oberen Abschnitt des Klangfeldes, aber dieses Mal ist es leicht links von der Mitte positioniert (5:44). Ihr solltet hören:

9. April 1865: Der Bürgerkrieg endet

28. Oktober 1886: Die Freiheitsstatue wird eingeweiht

31. Januar 1919: Jackie Robinson wird geboren

28. November 1929: Berry Gordy wird geboren

1. Dezember 1955: Rosa Parks weigert sich, ihren Platz im Bus einem weißen Passagier zu überlassen

Joie: Oh. My. Gosh. Du hast den Code aber richtig geknackt! Ich war nie fähig, all dieses in seiner Gänze herauszuhören, aber nun, wo ich es noch einmal versucht habe, mit deinen Notizen vor mir, ist es alles da – als wenn ein lange unlösbares Puzzle plötzlich kristallklar gelöst worden wäre! Das ist erstaunlich! Ich bin vollkommen beeindruckt. Sowohl von deinen Hörqualitäten als auch von deinen Kopfhörern!

Willa: Ich auch! Ich verbeuge mich vor dir, Lisha! So wie ich es sehe, hast du dieses unglaublich musikalische Gehör – deine Liste ist weitaus besser als meine!

Lisha: Ihr seid zu lustig! Aber der Dank geht an Bruce Swediens brillante Technik, dass dieses Segment so wunderbar organisiert ist.

Willa: Das stimmt, aber trotzdem … einige von diesen hatte ich überhaupt noch nie gehört wie „die Entdeckung des Penicillins“ und „Disneyland wird eröffnet“. Und Berry Gordys Geburtstag wird zum zweiten Mal erwähnt. Ich habe nicht bemerkt, dass das Datum zweimal gesagt wird, zu Beginn und am Schluss von HIStory. Das sagt mir, dass dies ein sehr bedeutsames Datum für Michael Jackson war.

Lisha: In der Tat sehr bedeutsam. Ich glaube, die Wichtigkeit von Gordys musikalischer Leistung wird während des ganzen Songs bekräftigt. Vielleicht der größte Unterschied zwischen den Paradigmen von Beethoven und Motown ist, dass die eine Komposition in schriftlicher Form vorliegt, während die andere auf aufgezeichneter Musik basiert. Populäre Musik hat eine so andere musikalische Herangehensweise, dass Musikologen ganz neu überdenken müssen, wie sie es analysieren, interpretieren und in einen historischen Zusammenhang stellen. Diese neue Annäherung wird oft als „Neue Musikwissenschaft“ bezeichnet, und es ist ein grundlegend interdisziplinäres Untersuchungsfeld.

Ich glaube, in HIStory deutet Michael Jackson auf diese Veränderung zwischen aufgeschriebener und in Klangform aufgezeichneter Musik, mit jenen zwei Daten am Anfang des Songs, und der Track illustriert dies auch musikalisch ziemlich gut. Er beinhaltet Musik aus dem klassischen und instrumentalen Repertoire einer Musikkapelle, aber es sind auch einige technische Zaubereien aus dem Studio enthalten. Es gibt auch zwei sehr bedeutende Momente in der Geschichte der Aufnahmetechnik, die gegen Ende des Tracks (6:10) enthalten sind. Der erste davon ist ein historischer Ausschnitt der ersten Werbeaufnahme, die je gemacht wurde, aus dem Jahr 1906:

Ich bin das Edison Grammofon, erfunden von dem großen Zauberer der Neuen Welt, um jene zu erfreuen, die eine Melodie haben oder sich vergnügen möchten.

I am the Edison phonograph, created by the great wizard of the New World to delight those who would have melody or be amused.

I am the Edison Phonograph

Darüber gelegt ist ein zweiter Clip von Thomas Edison selbst, bei denen er sich an die ersten Worte erinnert, die er 1877 für die erste Grammofon-Aufnahme der Welt aufzeichnete:

Mary had a little lamb
It’s fleece was white as snow
And everywhere that Mary went
The lamb was sure to go
Mary hatte ein kleines Lamm
Sein Fell war weiß wie Schnee
Und überall, wo Mary hinging
Ging ganz sicher auch das Lamm hin

Ob ihr es glaubt oder nicht, Edison machte diese erste Aufnahme 1877, nur 50 Jahre nach Beethovens Tod.

Thomas Edison and the phonograph – 1877

Willa: Im Ernst? Das hätte ich niemals vermutet. Es ist lustig, wie unsere zeitliche Wahrnehmung sich verschieben kann. So wie ich eines Tages über die „Invasion“ der Beatles in Amerika vor 50 Jahren las und dies näher am 2. Weltkrieg ist als heute an uns. Das hat mich erstaunt.

Lisha: Es ist wirklich verwirrend. Ich habe immer irgendwie gedacht, dass auch zwischen diesen Ereignissen größere Zeitabstände gewesen wären.

Willa: Oh, ich weiß, und ich denke, Edison und sein Grammofon haben eine Menge damit zu tun. Was ich meine, ist, dass ich denke, Videos und Klangaufnahmen verdichten unsere geschichtliche Wahrnehmung. Wir können die Beatles bei ihrem Auftritt bei Ed Sullivan „sehen“ und es selbst erleben, also empfinden wir es nah an unserer Zeit. Beethoven lebte, bevor die Aufnahmetechnik erfunden wurde, also werden wir ihn niemals auf dieselbe Art erleben – nie seine tatsächliche Stimme hören, niemals sehen, wie sich sein Körper bewegt. In diesem Sinn fühlt er sich also „vorgeschichtlich“ für uns an, in der Bedeutung, dass er vor der aufgezeichneten Geschichte existierte – bevor Geschichte mit Klang und Bildern aufgezeichnet werden konnte.

Lisha: Interessant, und ich stimme dir komplett zu. Durch die Aufnahmen erscheinen diese Ereignisse in unserer Erinnerung viel näher zu sein.

Willa: Genau. Die Beatles spielten vor 50 Jahren bei Ed Sullivan, aber für mich spielten sie dort auch gestern, denn da habe ich diesen Auftritt das letzte Mal erlebt. Ich habe sie erst gestern gerade bei Ed Sullivan gesehen. Gedanklich weiß ich natürlich, dass es vor 50 Jahren passiert ist, aber emotional fühlt es sich wirklich vertraut für mich an, auch wenn ich zu jung war, es zu erleben, als es wirklich passiert ist.

Das ist also ein weiterer Grund dafür, warum Edison und sein Grammofon in einem Song über „Geschichte“ bedeutsam sind. Sie haben grundlegend die Art und Weise verändert, wie wir Geschichte wahrnehmen und erleben.

Lisha: Großartiger Hinweis wie immer, Willa.

Willa: Danke, aber es tut mir leid, Lisha. Ich habe dich mitten in einem Gedankengang unterbrochen. Du sprachst über die riesige Veränderung von geschriebener Musik zu aufgezeichneter Musik, und dass du denkst, HIStory würde nicht nur die Veränderung ansprechen, sondern dass es dies sozusagen auch in seiner Struktur nachvollzieht, mit Passagen klassischer Musik zu Beginn und mit Audio-Ausschnitten von Edison und seinem Grammofon am Schluss. Das ist solch ein faszinierender Gedanke, besonders wenn du dir den enormen Einfluss vorstellst, den Aufnahmetechnik auf die Musik hatte – nicht nur dahin gehend, wie sie verbreitet wird, sondern auch, wie sie konzipiert und erschaffen wird. Ich würde gern noch mal darauf zurückkommen, wenn das geht.

Michael Jackson nutzte Musiktechnologie speziell als „Kompositionswerkzeug“, wie du in einigen faszinierenden Kommentaren zu einem Post, den Joie und ich vor langer Zeit mit Joe Vogel und Charles Thomson machten, erläutert hast. Dies ist, was du unter deinem Pseudonym Ultravioletrae sagtest:

Ich zweifle nicht daran, dass wenn Jackson es für nötig gehalten hätte, Musik in Notenschrift aufzuschreiben, er es getan hätte, aber seine eigene Methode diese auf Mehrspurbänder aufzunehmen war viel effizienter und erstrebenswerter als Stift und Papier oder Software für Notenschrift. Notenschrift zu lesen und zu schreiben, wäre eine enorme Bürde für einen Musiker wie ihn gewesen. Als Beispiel sei hier genannt, dass er mit komplexen, subtilen Rhythmen arbeitete, die nicht akkurat aufgeschrieben, höchstens geschätzt werden können.

Bevor ich begann, mit euch über dies alles zu sprechen, tendierte ich von der Aufnahme der Musik als einem Teil des Verbreitungsprozesses zu denken – dass Musiker ihre Musik in ein Format brachten, in dem man es mit anderen teilen kann. Aber du hast mir dabei geholfen, zu erkennen, dass der Aufnahmeprozess weit mehr als das geworden ist. Es ist inzwischen ein integrierter Teil des Komponierens und Erschaffens von Musik, aber auf eine ganz andere Art als in dem Modell von Beethoven.

Lisha: Der gesamte Gedanke des großen „musikalischen Werkes“ als einer exklusiv aufgeschriebenen Kompositionsform ist am ehesten ein direktes Ergebnis des Beethoven’schen Mythos‘ und wie wir den Status von (verstorbenen, weißen, männlichen) Komponisten bewerten. Es ist schwer, dieses Bild des Komponisten loszulassen, weil es so tief verwurzelt in der Kultur ist. Aber Musik ist ein Phänomen des Gehörs, also ergibt es einen unheimlich großen Sinn, die uns verfügbare Technologie einzusetzen, um musikalische Information in einem hörbaren Format zu speichern.

Ganz zu Beginn der Aufnahmen von Musik war es das Ziel, einfach eine Live-Performance so genau und realistisch wie möglich zu reproduzieren. Aber da gab es einige bahnbrechende Ereignisse, die all das grundlegend veränderten. Das erste waren die Innovationen bei Mehrspuraufnahmen des Gitarristen Les Paul, die Paul erlaubten, Klänge auf eine sehr kreative und einfallsreiche Art und Weise übereinanderzulegen. Bruce Swedien erzählte dies einmal Richard Buskin von Sound On Sound:

Das erste Mal, dass ich wegen Popmusik wirklich aufgeregt war, war, als ich entdeckte, dass es möglich ist, meine Fantasie einzusetzen. Das kam durch eine Aufnahme, an der ich selbst gar nicht mitgewirkt hatte, durch Les Pauls und Mary Fords How High the Moon. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Ziel von Musikaufnahmen gewesen, ein akustisches Ereignis unverändert einzufangen, die Musik von großen Orchestern wiederzugeben, als hättest du den besten Platz im ganzen Haus. Das ließ keinen Raum für Fantasie, aber als ich How High the Moon hörte, worin nicht ein natürlicher Klang enthalten ist, da dachte ich „Verdammt, es gibt Hoffnung!“

https://www.youtube.com/watch?v=UOzB7I2y7Ic

Denkt mal an all diese Daten in HIStory, wie sie gestapelt und übereinander gelegt sind. Das ist ein großartiges Beispiel für Michael Jacksons und Bruce Swediens fantasievolle Nutzung des Aufnahmestudios als einer Form der Komposition, möglich geworden durch Les Pauls erfinderische Herangehensweise an das Aufzeichnen von Musik.

Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der Aufzeichnungen ereignete sich 1967, als die Beatles Sergeant Pepper‘s Lonely Hearts Club Band, einem Album, das der Rolling Stone als das „großartigste Album aller Zeiten“ bezeichnete, veröffentlichten. Nachdem die Beatles 1966 das Touren aufgegeben hatten, wandten sie ihre Aufmerksamkeit dem Aufnahmestudio zu und erarbeiteten in beispiellosen 700 Stunden im Studio das Album St. Pepper. Das Album überschritt die Grenzen der bisher dagewesenen Multitrack-Aufnahmen und der Aufnahmetechnologie dahin gehend, dass der Aufnahmeprozess selbst als ein Gestaltungselement der Komposition anerkannt wurde. Ohne den Plan, jemals auf die Bühne zurückzukehren, wurde der Aufnahmeprozess selbst zum „musikalischen Werk“. Jeder Versuch es aufzuführen, würde fortan als Reproduktion der Aufnahme verstanden werden, einer Drehung um 180 Grad gegenüber dem ursprünglichen Einsatz von Aufnahmetechnologie.

HIStory beinhaltet das geschriebene musikalische Musterbeispiel einer Orchesteraufführung von The Great Gate of Kiev von Mussorgskys Pictures at an Exhibition (Das große Tor von Kiev / Bilder einer Ausstellung), gefolgt von mehreren Beispielen einer amerikanischen Musikkapelle im Militärstil. In diesen Beispielen spielen Musiker Musik von Notenblättern ab und versuchen die Absichten des Komponisten bis ins kleinste Detail wiederzugeben. Die Art, in der diese Musik erdacht, erschaffen und aufgeführt wurde, entwickelt sich rund um das Konzept des geschriebenen „musikalischen Werkes“, welches durch die geschriebene Partitur in Stein gemeißelt wurde.

Aber in der aufgenommenen Musik wird die Rolle des Komponisten neu erdacht, dadurch, dass das „musikalische Werk“ eine klangliche Aufnahme darstellt, die bedeutende Beiträge des Ausführenden, und auch des Produzenten und des Toningenieurs enthält.

Willa: Das ist faszinierend, Lisha, und es ist wirklich eine gänzlich andere Art, mit einem Musikstück umzugehen, nicht wahr? Im klassischen Modell hast du die Vision eines Ideals des Stückes, wie es sich der Komponist vorgestellt und in seiner Niederschrift „in Stein gemeißelt“ hat, wie du gesagt hast, und das Ziel eines jeden, der danach kam, war zu versuchen, diesem Ideal möglich treu zu bleiben.

Das neue Modell ist nicht nur gemeinschaftlich entstanden, wie du sagst, sondern ist auch viel weniger umrissen – vielleicht sind die Übergänge zu fließend, wie wir kürzlich bei all den Remixen gesehen haben – sodass Songs so etwas wie ein fortwährendes unfertiges Erzeugnis sind. Ich glaube, es war Brad Sundberg, der gesagt hat, dass Michael Jackson manchmal mit kleinen Modifikationen an seinen Songs fortfuhr, sogar nachdem ein Album bereits veröffentlicht war, so konnte ein Dangerous Album eine leicht andere Version von Black or White haben als ein anderes, das nur ein paar Monate früher herausgekommen war. Und sogar Songs, von denen es eine ziemlich „definierte“ Version gibt, wie Wanna Be Startin‘ Somethin‘ oder Billie Jean wurden von anderen Künstlern gesampelt oder in neue Songs integriert, also können wir Ausschnitte oder Schatten dieser Songs im Radio in unterschiedlichen Fassungen hören und diese führen uns dahin über sie auf eine neue Art zu denken.

Mit anderen Worten ist das, was ich zu sagen versuche, dass in dem neuen Modell die Songs überhaupt nicht „in Stein gemeißelt“ sind – sie verändern ständig ihre Form.

Lisha: Ja, das stimmt definitiv, und das hat eine Menge Verwirrung in Hinsicht des geistigen Besitzes und der Bestimmung dessen, der das Recht auf den Erlös der Aufnahme hat, gestiftet. Aber wenn du darüber nachdenkst, wie viel mehr klangliche Informationen in einer musikalischen Aufnahme gegenüber einem Blatt Papier mit Notenschrift enthalten ist, dann ist auf vielerlei Arten das Gegenteil wahr. Ich weiß etwa weit mehr darüber, wie Michael Jackson wollte, dass Billie Jean klingt, als dass ich weiß, welche Vorstellung Beethoven davon hatte, wie seine Musik klingen sollte.

Willa: Nun, das stimmt, Lisha! Interessant – Musik ist also in gewisser Weise festgelegt und in anderer Hinsicht fließender.

Lisha: Ich glaube außerdem, dass klassische Musik nicht so festgelegt ist, wie sich die meisten von uns vorstellen. Mussorgskys Bilder einer Ausstellung, das am Anfang von HIStory vorkommt, ist ein Musikstück, das zahlreiche Male neu instrumentiert wurde. Die Version, die wir in der Aufnahme hören, ist eigentlich ein Arrangement oder „Remix“ von Maurice Ravel! Und über all die ganzen Jahre ändern Musiker ihre Ansichten darüber, wie Komponisten wie Beethoven dargeboten werden sollten und ziehen die Vorzüge vieler verschiedener Darstellungen in Betracht.

Aber niemand muss nur vermuten, was Michael Jackson hören wollte – wir haben eine genau definierte Aufnahme davon. Und welchen Sinn hat überhaupt der Versuch, seine Aufnahmen zu kopieren? Die Plattenfirma ist froh so viele Kopien, wie jemand kaufen würde, herzustellen.

Willa: Das stimmt sicherlich. Also kam dieser Paradigmenwechsel in der Hinsicht, wie Musik zusammengesetzt ist – von einem Modell eines einzigen Komponisten, der Noten auf ein Blatt Papier schreibt, hin zu einem ganz anderen Modell von einem Team von Musikern und Soundingenieuren, die in einem Studio arbeiten – durch neue Technologie wie Edisons Grammofon zustande. Aber auch durch neue Produktionsmodelle, wie sie Berry Gordy bei Motown entwickelte und die Michael Jackson von einem sehr jungen Alter an erlebte. Wenn wir HIStory also auf die Art betrachten, wie du es vorschlägst, Lisha, dann ergibt es vollkommenen Sinn, dass Michael Jackson Beethoven, Edison und Gordy an solch markanten Stellen platziert.

Lisha: Es ergibt enormen Sinn. Besonders da das alte Muster heute immer noch gemeinsam neben dem neuen existiert. Es ist bislang nicht wirklich Vergangenheit, obwohl wir zunehmend Anzeichen seines Verfalls sehen. Soweit ich sagen kann, besteht zwischen zwei musikalischen Epochen immer ein Zeitraum der Überschneidung. Es ist nicht so einfach zu definieren, wann die eine endet und die nächste beginnt. Ich denke, es ist bedeutsam darüber nachzudenken, wie wir die Vergangenheit in die Geschichte eingebunden haben und wie wir unseren derzeitigen Moment in der Zukunft historisieren werden. Schließlich ist das Konzept des Albums HIStory: Past, Present and Future. Ich denke, Jackson würde es verfechten, dass, wenn wir großartige Musik in der Zukunft historisieren, wir nicht in die Falle gehen und „verstorbene, weiße Männer“ bevorzugen. Dem pflichte ich bei!

Joie: Wow, wisst ihr, ich habe noch nie über HIStory in Hinsicht der Musik und welcher Sinn dahintersteckt, nachgedacht. Ich habe immer nur über all diesen Daten gegrübelt und über das Ausmaß und die Bedeutung der wegweisenden, Geschichte machenden Ereignisse, die sie repräsentieren.

Aber was du sagst, Lisha, ist, dass Michael den Song selbst im Grunde nicht nur dazu benutzte, um diese geschichtsträchtigen Ereignisse herauszustellen, sondern auch, um uns gewissermaßen diese große Veränderung vom musikalischen Paradigma der klassischen Musik zur „neuen Musikologie“ bewusst zu machen. Und welchen besseren Weg, dies zu tun, gibt es, als immer wieder auf Berry Gordy zu zeigen, einen Mann, der diese neue Musikwissenschaft nahm und ein völlig neues Genre und einen neuen Musikstil neu erschuf. Du kannst fast jeden auf der Welt fragen und er kann dir wahrscheinlich sagen, was der Motown Sound ist und wer ihn erfunden hat.

Willa: Das stimmt, Joie, und er erzeugte auch auf der ganzen Welt eine Wertschätzung für „Schwarze Musik“ und half dann dabei, sie aus dieser ziemlich getrennt gehaltenen Kategorie herauszulösen, sodass schwarze Musik und schwarze Künstler generell mehr und mehr in die populäre Musik integriert wurden.

Und natürlich erkennen wir das ebenso in Michael Jackson. Er gewann einen Grammy für Off the Wall: Für die beste männliche R&B Vocal Performance. R&B bedeutet traditionell „Schwarze Musik“, also gewann er grundsätzlich einen Award für die beste „Schwarze Musik“.

Er war äußerst aufgebracht deswegen und schwor, dass sein nächstes Album nicht so ghettoisiert würde wie dieses … und natürlich, sein nächstes Album räumte die Grammys ab. Thriller gewann nicht nur als Best Album of the Year, es gewann außerdem noch sieben weitere Grammys. Und es ist das meistverkaufte Album aller Zeiten, weltweit, für viele verschiedene Menschen aller Rassen.

Das führt zu einem anderen bedeutsamen Aspekt von HIStory – dass es auch schwarzen Künstlern, Politikern, Helden des Sports und anderen Personen gegenüber Anerkennung zollt und den großen Einfluss aufzeigt, den sie auf den Verlauf der Geschichte hatten – nicht auf die Geschichte der Schwarzen, sondern auf die Geschichte der Menschen. Der Namensaufruf der wichtigen Daten beinhaltet die Geburtstage von Martin Luther King, Daniel Hale Williams und Matthew Henson (ich wusste nicht, wer sie waren – ich musste es nachschlagen), Muhammad Ali und Jackie Robinson, ebenso wie den Tag, an dem „Rosa Parks sich weigerte, ihren Sitzplatz im Bus einem weißen Mitfahrenden zu überlassen“. Und die Audio-Clips, die die Klang-„Collage“ bilden, wie du es nanntest, Lisha, erinnern an Hank Aaron, der Babe Ruths Rekord beim Home-Run gebrochen hat, an Muhammad Ali, wie er ausruft, er sei „der Größte aller Zeiten“ und an Martin Luther Kings „I Have a Dream“-Rede.

Oft werden schwarze Pioniere und historische Ereignisse als „Geschichte der Schwarzen“ in die zweite Reihe verwiesen, aber Michael Jackson platzierte sie an die erste Stelle, stellte sie in das Zentrum seiner Liste mit wichtigen Daten und demonstrierte damit, dass er sie als einen sehr bedeutenden Teil unserer Geschichte sieht – der Geschichte, die wir alle gemeinsam teilen. Sollte irgendjemand noch denken, Michael Jackson habe seine Wurzeln vergessen oder habe keinen Stolz gegenüber seiner Rasse gefühlt, der sollte sich HIStory ganz aufmerksam anhören.

Joie: Oh, fang nicht damit an, Willa! Das ist eine ganz andere Unterhaltung, die wir eines Tages führen könnten und wahrscheinlich sollten. Aber du hast absolut recht, wenn du das sagst.

Nun, Willa und ich möchten wieder einmal Lisha danken, dass sie heute bei uns war. Es ist jedes Mal eine interessante und zum Nachdenken anregende Unterhaltung, wenn du hier bist! Wir möchten an dieser Stelle unsere Leser auch dazu anregen, in Lishas Lyrics und Sound Collagen in der Lyrics Library hineinzusehen.

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