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“A lot of people misunderstand me. That’s because they don’t know me at all.” – Michael Jackson


Michael Jacksons Kurzfilm „Black or White“ wird von Joe Vogel und Willa Stillwater analysiert. Der Film fordert rassistische und sexistische Erzählungen heraus und schafft eine neue Vision für schwarze Männlichkeit. Jackson stellt sich gegen die lange Geschichte der Unterdrückung schwarzer Kultur in Hollywood. Er untergräbt den Trugschluss der rassenbezogenen Reinheit und bietet eine Re-Vision für Rasse und Geschlechterzuordnung. Dieser bahnbrechende Film ist ein Denkmal für Jacksons künstlerische Vision.


Willa: Ich bin so froh, dass sich in dieser Woche wieder einmal unser langjähriger Freund Joe Vogel zu uns gesellt. Oder eigentlich sollte ich Dr. Joe Vogel sagen – du hast seit unserem letzten Gespräch einiges erreicht! Was hast du alles so getrieben, Joe?

Joe: Hi Willa. Großartig, wieder mit dir zu reden. Ich bin in letzter Zeit so beschäftigt gewesen, aber jedes Mal, wenn ich bei Dancing With the Elephant hineinschaue, dann ist irgendeine großartige neue Diskussion im Gange. Du und Joie, ihr leistet fantastische Arbeit bei der Untersuchung der verschiedenen Facetten des schöpferischen Werks und des Lebens von Michael Jackson.

Was mich betrifft … Wie du bemerkt hast, habe ich kürzlich meine Promotion an der Universität von Rochester abgeschlossen. Ich arbeite nun an einem Buch über James Baldwin, das sich auf seine Kultur- und Medienkritiken der 80er-Jahre konzentriert.

Willa: Oh, wie interessant! Ich wusste, dass du in deinem Blog regelmäßig über James Baldwin postest, aber ich wusste nicht, dass du ein Buch über ihn schreibst.

Joe: Ja, es ist eine Ausarbeitung eines der Kapitel meiner Dissertation. Als ich erst einmal richtig tief in Baldwins Werk eingetaucht war, war ich erstaunt über seine Vorahnungen. Seine Arbeiten sind immer noch so zutreffend für die Welt, in der wir heute leben.

Außerdem habe ich einige neue, auf MJ bezogene Dinge geschrieben, von denen einige bereits veröffentlicht wurden (einen Eintrag über Thriller für die Library of Congress und den Begleittext für Xscape) und andere, die in nächster Zukunft veröffentlicht werden (ein Eintrag über Michael Jackson für Scribner’s Encyklopädie America in the World, 1776-present / Amerika in der Welt, 1776-heute, und der Artikel, über den wir heute diskutieren werden „I Ain’t Scared of No Sheets: Rescreening Black Masculinity in Michael Jackson’s Black or White“ / „Ich habe keine Angst vor Laken: Neuuntersuchung schwarzer Männlichkeit in Michael Jacksons Black or White“, der gerade vom Journal of Popular Music Studies herausgegeben wurde).

Willa: Und ich habe mich wirklich schon darauf gefreut, mit dir darüber zu sprechen. Da sind so viele Aspekte deines Artikels, die mich fasziniert oder überrascht haben. Du betrachtest Black or White beispielsweise als ein Zurückschlagen gegenüber einer langen Geschichte des Rassismus‘ in der Filmindustrie, und du beginnst deinen Artikel, indem du einiges aus dieser Geschichte nochmals betrachtest – und um ehrlich zu sein, es hat mich betroffen gemacht.

Du gibst zu bedenken, dass Hollywoods erster Film, der in der Art produziert wurde, wie wir heute über Filme denken, D.W. Griffith’s Birth of a Nation (Geburt einer Nation) war – ein Film, der den Ku-Klux-Klan verherrlichte. Eigentlich war sein Originaltitel The Clansman (Das Clanmitglied). Du sagst in deinem Artikel:

Er führte zu einer neuen Kunstform – dem Spielfilm – der die Unterhaltungsindustrie veränderte. … Birth wurde der profitabelste Film seiner Zeit – und inflationsbereinigt wahrscheinlich aller Zeiten. Es war der erste Film, dessen Herstellungskosten über 100.000 Dollar betrugen, der erste, der eine eigene Musikpartitur hatte, der erste, der im Weißen Haus gezeigt wurde, der erste, der beim Obersten Gerichtshof und den Kongressmitgliedern gezeigt wurde, und der Erste, der von Millionen Durchschnittsamerikanern gesehen wurde. Er war Amerikas urtypischer Blockbuster.

Szenenbild aus ‘Birth of a Nation’

Birth of a Nation hatte also einen riesigen Einfluss auf Amerikas unerfahrene Filmindustrie – im Grunde trug er dazu bei, unsere Vorstellungen darüber, wie ein Film sein sollte, zu bilden – aber er trug auch dazu bei, die gängigen Auffassungen über Rasse zu formen. Und du siehst es so, dass Black or White es mit beiden Themen aufnimmt, richtig? – als ein Herausfordern der doppelköpfigen Hydra des Rassismus‘ und der Filmindustrie der Vereinigten Staaten?

Joe: Ganz genau. Ralph Ellison beschrieb Birth of a Nation als den Film, durch den „das doppelte Leinwandbild des Negers als brutalen Vergewaltiger und grinsendem, augenrollenden Clown“ aufgebaut wurde. Er war unheimlich machtvoll und einflussreich, nicht nur im Süden, sondern auch im Norden und in Los Angeles, wo er seine Premiere hatte und stehende Ovationen bekam.

Willa: Ja, im Grunde bildet der Mord an einem schwarzen Mann, der des Versuchs der Vergewaltigung einer weißen Frau beschuldigt war, den Höhepunkt des Films, und die Angst vor Rassenmischung und schwarzen Männern als den „brutalen Vergewaltigern“ zieht sich von Anfang bis Ende durch den gesamten Film. Der Film endet beispielsweise mit einer Doppelhochzeit zweier weißer Paare – ein Geschwisterpaar aus dem Norden heiratet Bruder und Schwester aus dem Süden – und das, was sie verbindet, was Weiße aus dem Norden und dem Süden nach der Bitterkeit des Bürgerkrieges eint, ist die Furcht vor schwarzen Männern.

Joe: Michael Jackson besaß ein so fundiertes Wissen über die Filmgeschichte, dass ich es angesichts seiner größten Plattform mit geschätzten 500 Millionen Zuschauern weltweit einfach nur interessant fand, dass er sich dafür entschied, dieses frisch gebackene, junge Medium einzusetzen – den Musikkurzfilm, ein Medium, für das er ebenso Wegbereiter war wie D.W. Griffith für den Spielfilm – um Griffiths Mythos über schwarze Männlichkeit und Rasse überhaupt weitgehend zu hinterfragen und abzulösen.

Willa: Ja, wie du auch in deinem Artikel schreibst:

D.W. Griffith gestand selbst ein, dass ein wesentlicher Zweck des Films darin bestand „bei Weißen, besonders weißen Frauen gegenüber farbigen Männern, ein Gefühl der Verachtung zu erzeugen“.

Und du schreibst weiter, dass Griffith dies durch Übertreibung rassenbezogener Unterschiede und dem Erschaffen „einer Welt starker Kontraste“ erreichte. Wie du deutlich machst:

In der Rolle der Schwarzen sind vorwiegend Weiße mit geschwärzten Gesichtern, die sie dunkler und eher einheitlich schwarz erscheinen lassen, als dass sie die unterschiedliche Bandbreite von Hautfarben tatsächlicher Afroamerikaner zeigen würden. Sie werden außerdem oft als Schatten mit verrücktem und animalischem Gesichtsausdruck dargestellt. Die weißen Hauptpersonen dagegen besitzen eine schimmernde, strahlende Ausstrahlung, die ihr Weißsein und ihre angeborene Vornehmheit betont.

Michael Jackson hinterfragt diese „Welt der starken Kontraste“ während seines gesamten Kurzfilms, indem er eine sehr viel komplexere und einheitliche Sicht der Menschlichkeit anbietet und dieses Hinterfragen beginnt mit dem ironischen Titel Black or White. Es gibt sehr wenig in Black or White, das entweder nur schwarz oder nur weiß ist.

Joe: Genau. Während des gesamten Songs und Videos stellt er fortwährend unser Verständnis dieser Kategorien auf den Kopf, setzt auf sorgfältige Weise Spannungsverhältnisse nebeneinander oder balanciert diese aus. Er untergräbt damit die zentrale Aussage von Griffiths Film: den Trugschluss der rassenbezogenen Reinheit (und in der Erweiterung: der Überlegenheit der Weißen).

Willa: Oh, das sehe ich genauso. Während Griffith beispielsweise eine fast Cartoon-artige Darstellung der rassenbezogenen Unterschiede durch weiße Darsteller mit geschwärzten Gesichtern zeigt, präsentiert Michael Jackson uns afrikanische Stammesangehörige, deren Gesichter sowohl mit schwarzer, als auch mit weißer Gesichtsfarbe gefärbt wurden, sodass ihre Gesichter eine schwarz-weiße Collage bilden. Dies ist eine wichtige Szene – an der Stelle beginnt die Melodie von Black or White, und an dieser Stelle erscheint Michael Jackson zum ersten Mal in diesem Film. Es scheint für mich von Bedeutung zu sein, dass er mit diesen Männern tanzt, als wir ihn das erste Mal sehen. Man kann also sein Gesicht, das vereinfachte Definitionen von Rasse erschwert und sich ihnen widersetzt, zuerst zwischen diesen Stammesangehörigen erblicken, deren Gesichter Kunstwerke sind, in denen Schwarz und Weiß auf kreative Art kombiniert werden.

Später gibt es diese berühmte Morphing-Sequenz, in der sich das Gesicht eines Indianers in das Gesicht einer schwarzen Frau verwandelt, dann in das einer weißen Frau, dann eines schwarzen Mannes, dann einer indischen Frau und so weiter. In meinen Augen stellen diese beiden Szenen – die schwarz-weiß-gefärbten Gesichter des Stammesangehörigen und die Morphing-Sequenz der Gesichter – einen künstlerischen Ausdruck des, wie du es genannt hast, „Trugschlusses der rassenbezogenen Reinheit“ dar.

Biologisch gesehen gibt es so etwas wie Rasse gar nicht – es gibt keine genetisch begründeten, einander gegenüberstehenden Ausprägungen von „Schwarz“ einerseits und „Weiß“ andererseits. Es ist vielmehr eine kulturelle Auffassung als biologische Realität. Menschsein beinhaltet eine enorme Bandbreite an physischen Ausprägungen – Hautfarbe, Gesichts- und Haarstruktur – und uns wurden Vorstellungen über rassenbezogene Einteilungen künstlich auferlegt. Du sagst in deinem Artikel:

„Eine Farbe zu sein“, deutet Jackson an, ist keine allgemeingültige Kernaussage; es handelt sich dabei um eine Identität, die durch Vorstellungskraft, Geschichte, Erzählungen und Mythen entstanden sind; es ist ein bildlicher Ausdruck und eine Positionierung innerhalb konzentrischer Gemeinschaften.

Das ist solch eine wichtige Feststellung, denke ich, und Teil dessen, was Michael Jackson in diesen beiden Szenen mit den Stammesangehörigen und den morphenden Gesichtern andeutet. Die Bedeutung dieser zwei Szenen wird durch ihre strategische Platzierung innerhalb dieses Films noch betont – sie fungieren wie Buchstützen und rahmen so den zentralen Teil von Black or White ein. Mir scheint, dass Black or White aus drei Teilen besteht: Dem Prolog in der Vorstadt vor dem Beginn der Musik, dem Hauptteil, in dem der Song gespielt wird und dem Nachspiel oder „Panther Dance“, nachdem die Musik zu Ende ist. Und ich denke, es ist bedeutsam, dass der Hauptteil mit den Stammesangehörigen beginnt und mit den ineinander übergehenden Gesichtern endet.

Joe: Das sind großartige Beobachtungen. Und, natürlich, wird all diese neue, komplexe rassenbezogene Erzählkunst vornehmlich aus der Sicht einer traditionellen, weißen Vorstadtfamilie wiedergegeben. Der Prolog handelt, wie du es beschreibst, von weißer Engstirnigkeit und Fehlfunktion, besonders zwischen dem Vater und dem Sohn. Der weiße Patriarch (gespielt von George Wendt) ist, oberflächlich betrachtet, wütend, weil sein Sohn (dargestellt von Macaulay Culkin) die Musik zu laut aufdreht.

Aber die Aussage, die Michael Jackson hier scheinbar treffen möchte, geht sehr viel tiefer. Bei der Wut des Vaters geht es um Ignoranz. Er versteht seinen Sohn oder die Musik seines Sohnes oder die Helden seines Sohnes nicht. Seine Weltsicht ist eng, provinziell, altmodisch – was der Grund dafür ist, dass sein Sohn ihn buchstäblich aus dem Haus schießt, und der Vater mitsamt seinem Fernsehsessel in Afrika, der Wiege der Zivilisation, landet, wo seine „Um-Erziehung“ seinen Lauf nimmt.

Willa: Ja, und bezeichnenderweise ist Michael Jackson einer der Helden seines Sohnes – sein Vater reißt das Poster, auf dem er abgebildet ist, herunter, als er in das Zimmer seines Sohnes stürmt. Es gibt eine ähnliche Szene ganz am Schluss des Videos, wie du in deinem Artikel feststellst, in der Homer Simpson die Fernbedienung nimmt und den Fernseher ausschaltet, als sein Sohn Bart gerade Black or White ansieht – genauer gesagt den Panther Dance. Das Video wird also von diesen zwei Szenen mit einem wütenden, unterdrückenden, weißen Vater eingerahmt, der die Tatsache, dass sein Sohn der Popkultur ausgesetzt ist, limitieren möchte – insbesondere die Popkultur, die von einem schwarzen Künstler, nämlich Michael Jackson, vermittelt wird.

Dies scheint, wie du in deinem Artikel sagst, eine exakte Reflexion der damaligen Zeit zu sein, da Black or White zu einer Zeit intensiver Wut weißer Männer veröffentlicht wurde. Fortschritte bei den Bürgerrechten, Frauenrechten und Rechten für Homosexuelle „höhlte die männliche Dominanz zu Hause und am Arbeitsplatz aus“, wie du sagst, und führte zum Aufkommen einer „Männerbewegung“, überwiegend weißer Männer. Ich halte es für sehr interessant, dass das populärste Buch des Jahres 1991, dem Jahr, in dem Black or White veröffentlicht wurde, Robert Blys Iron John war, das, wie du festgestellt hast „ein Buch war, das zum Ziel hatte, gebrochene Männer zu verstehen und diese zu rehabilitieren, indem sie ihren inneren ‚Wilden‘ oder ‚inneren Krieger‘ wiederherstellten.

Ich kann mich erinnern, wie populär Blys Buch und die „Männerbewegung“ damals waren. Männer versammelten sich in den Wäldern, um riesige Lagerfeuer zu machen und auf Trommeln zu schlagen und so den angeblichen entmannenden Einfluss der Zivilisation loszuwerden. Ich habe bisher darüber nicht in Bezug auf Michael Jackson nachgedacht, aber es ist ein weiterer faszinierender historischer Kontext für die Interpretation von Black or White – besonders die Szene, über die du sprichst, Joe, in der ein spießiger Mann in seinem Fernsehsessel sitzend nach Afrika geschossen wird und dann Michael Jackson sieht, wie dieser mit den Stammesmitgliedern tanzt.

Auf gewisse Art scheint dies genau das zu sein, was Bly vorgeschlagen hat – dass Männer zu ihren frühesten Ursprüngen zurückgehen und sich wieder mit dem „inneren Krieger“ verbinden sollen. Aber Michael Jackson weicht von Blys Skript ab, indem er mit Thai-Frauen tanzt, und dann mit einer Gruppe Prärie-Indianer, einschließlich eines kleinen Mädchens. Als Nächstes tanzt er mit einer indischen Frau und einer Gruppe von Russen. Michael Jacksons Botschaft scheint also eine ganz andere als die von Bly zu sein.

Joe: Richtig. Ein Teil dessen, was an Blys Projekt verfehlt war, lag meiner Meinung nach an seiner Annahme, dass er eine allgemeingültige Kernaussage über alle Männer aufstellte, und infolgedessen ein allgemeingültiges Rezept für die sogenannte „Krise der Männlichkeit“. Er erkannte keine Unterschiede und keine Vielfalt unter Männern an, so wie es Michael Jackson so oft tat. Aber wie du sagst, ist es ein weiterer faszinierender historischer Zusammenhang, der darauf hinweist, dass sich Maskulinität an einem Wendepunkt befand.

Genau genommen sehe ich einen weiteren Zusammenhang, um ich den Text schließlich gekürzt habe, in der Rolle von Hip-Hop. Bei so vielem am Hip-Hop, speziell am Gangsta-Rap, ging es damals um die Projektion hypermännlicher Kraft. Ein wahrer Mann zu sein schloss homosexuell, queer oder sanft zu sein, Frauen mit Respekt zu behandeln oder in einer gemischtrassigen Beziehung eingebunden zu sein, aus.

Michaels Song und Video hinterfragte also in diesem Zusammenhang direkt das vorherrschende Urteil über Hip-Hop und auch über Hardrock / Metal. Während Hip-Hop oft eine Ausnahmestellung einnahm, war Metal ebenso frauenfeindlich und homophob.

Willa: Das war es wirklich.

Joe: Diese Genres hatten so viel Einfluss auf junge Leute in den späten 80ern und frühen 90ern. Es ist kein Zufall, dass Michael beide in Black or White einbezog, aber ihre „Botschaft“ neu durchdachte.

Willa: Das ist interessant, Joe. Und diese Zusammenhänge sind wichtig, denn du siehst Black or White nicht nur als eine Kritik am Rassismus, wie es normalerweise interpretiert wird, sondern auch als eine Kritik an der Geschlechterzuordnung – indem es sich mit den unterdrückenden, kulturellen Erzählungen darüber beschäftigt, was es bedeutet, ein Mann zu sein, insbesondere was es bedeutet ein schwarzer Mann zu sein, und dann eine „Re-Vision für schwarze Männlichkeit“ zu erschaffen. Du schreibst auch in deinem Artikel:

Jackson erkannte, dass ein „Muster“ dafür existierte, wie schwarze Männer in den amerikanischen Medien dargestellt wurden. … Im Kino wurde das Muster, auf das sich Jackson bezieht, weitgehend in Birth of a Nation vorgestellt.

Ein anderes, aber ebenso restriktives „Muster“ wurde durch Blys „Männerbewegung“ und, wie du sagst, durch Hip-Hop und Heavy Metal verewigt. Und du siehst in Black or White etwas, was diese Muster direkt hinterfragt und dann eine neue Vision anbietet, eine „Re-Vision“, wie du es genannt hast, sowohl für Rasse als auch für Geschlechterzuordnung. Ist das richtig?

Joe: Ja, in einem Interview zur Zeit seines Prozesses sprach Michael Jackson über die Jack Johnson-Geschichte. Er war sich der Furcht Amerikas vor Schwarzen, insbesondere der vor schwarzer männlicher Sexualität, deutlich bewusst. Das ist wirklich die Art Furcht, die im Zentrum von Birth of a Nation steht: Die Erwartung, dass Schwarze die Reinheit weißer Frauen entweihen würden. Der Regisseur D.W. Griffith macht hieraus keinen Hehl. Wie du vorhin erwähnt hast, spricht er davon, „Abscheu“ für Rassenmischung und gemischtrassige Ehen hervorzurufen. Diese Furcht geht zurück auf die Sklaverei und setzt sich in Tragödien wie dem Tod von Emmett Till und Yusef Hawkins fort. (Bedenke, dass 1958 nur 4 % der Amerikaner Ehen zwischen Schwarzen und Weißen befürworteten. 1991 hatte sich die Zahl auf 48 % erhöht, aber das ist immer noch weniger als die Hälfte der Amerikaner).

Dies ist also der Mythos, den Michael Jackson in Black or White hinterfragt. Von den Lyrics „‘Junge, gehört das Mädchen zu dir?‘ / ‚Ja, wir sind ein und dasselbe‘“, über die Szene, in der Michael durch ein brennendes Kreuz geht und ausruft „Ich habe keine Angst vor Laken!“, über die Morphing-Szene, die die absolute Vorstellung der Rassenreinheit unterläuft, bis hin zur Panther-Coda, der, meiner Meinung nach, einer der mutigsten, kühnsten Momente der Filmgeschichte – ganz sicher aber in einem Musikvideo – darstellt.

Willa: Oh ja, das sehe ich genauso.

Joe: Eins der Dinge, die ich an diesem Moment in diesem Short-Film so faszinierend finde, ist, dass er auf symbolische Art die Führung als Filmender übernimmt – der weiße Regisseur (John Landis) wird entthront. Es ist ein verblüffender Moment, wenn man die Filmgeschichte bedenkt und wie sie überwiegend von weißen Männern dominiert wurde. Und es war tatsächlich so, dass John Landis Stellung gegen das bezieht, was Michael in der Panther-Szene macht, wie es auch die Sony Manager taten. Kürzlich tauchte auf YouTube ein Ausschnitt auf, der ein wenig davon zeigt.

Grabaciones de Black Or White – Michael Jackson – Sub. en Español – Italiano

Michael besteht darauf, dass Landis, nicht er, derjenige ist, der „schmutzige“ Gedanken hat. Es ist eigentlich ziemlich lustig. Aber dieser Film, und besonders das Panther-Segment, repräsentiert Michaels künstlerische Vision, seine Entscheidungen. Er kannte die Risiken, und er wusste, was er damit erreichen wollte. Die bloße Intelligenz des Short-Films bezeugt dies – der sich vom Set schleichende schwarze Panther, die vollkommene Änderung des Tons, der Beleuchtung, des Umfelds – die Gegenüberstellungen und Spannungen, wenn man bedenkt, was wir in der „offiziellen Fassung“ sehen. Es ist bemerkenswert.

Willa: Das ist es. Und ich danke dir, dass du diesen Behind-the-scenes-Clip mit uns geteilt hast! Ich hatte ihn vorher noch nicht gesehen, er ist sehr vielsagend, nicht wahr? Wenn man diesen Clip ansieht, dann ist es offensichtlich, dass John Landis wirklich nicht versteht, was Michael Jackson da gerade machte und warum es so wichtig war. Und ich bin wie du der Meinung, dass es von wesentlicher Bedeutung ist, dass John Landis‘ Rolle nach der Morphing-Sequenz endet und der Rest des Videos – der Panther Dance – als Michael Jacksons Eigenwerk präsentiert wird.

Es erinnert mich an Liberian Girl, ein Video, das mit einer Darstellung des kolonialen Afrika, komplett mit Missionaren, im Stil Hollywoods beginnt … aber dann verlagert sich plötzlich alles. Wir hören Malcolm-Jamal Warner (einen schwarzen Schauspieler) sagen: „Leider kann ich hier nirgendwo eine dieser Türen öffnen“ – und ist das nicht ein interessanter Kommentar? Dann fragt Whoopi Goldberg (eine schwarze Schauspielerin): „Wer führt hier Regie?“ Die Kamera schwenkt hinüber zu Steven Spielberg (ein weißer Regisseur), der in einem Regiestuhl sitzt, aber er hat nicht die Leitung – er ist gelangweilt und wartet.

Dann fragt Rosanna Arquette (eine weiße Schauspielerin) Jasmine Guy (eine schwarze Schauspielerin): „Weißt du, was wir hier machen sollen?“ Jasmine Guy antwortet: „Alles, was ich weiß, ist, dass Michael mich angerufen hat. Ich vermute, wenn er hier ist, wird er mich wissen lassen, was ich tun soll“ – und impliziert damit, dass Michael wirklich derjenige ist, der das Sagen hat. Diese Vermutung erhärtet sich ganz am Ende des Videos, wenn wir ihn endlich sehen … und überraschenderweise sitzt er im Stuhl des Kameramannes. Er ist also derjenige, der die Kontrolle über die Kamera hat, und er ist derjenige, der den Ton angibt – nicht der weiße Typ, der im Regiestuhl sitzt, auf seine Uhr sieht und auf jemanden wartet, der ihm sagt, was zu tun ist. Trotz der Erwartungen also, die durch sein Intro geschürt werden, ist Liberian Girl keine weitere Darstellung von afrikanischem Kolonialismus. Es ist etwas völlig anderes. Es geht um einen talentierten, jungen, schwarzen Mann, der etwas unter seine Kontrolle bringt, was in Millionen von Haushalten weltweit ausgestrahlt wird, aber es passiert alles auf solch eine lustige, leichtherzige, subtile Art, dass niemand zu realisieren scheint, was er da eigentlich macht.

Ich denke, die Botschaft der Szene mit John Landis in Black or White ist ähnlich. John Landis mag der Regisseur sein, aber er hat nicht die Kontrolle. Er ist in Wirklichkeit nur ein Angestellter, der Michael Jackson dabei hilft, seine Vision zu vermitteln, ohne dass er versteht, worum es bei dieser Vision eigentlich geht. John Landis verdeutlicht dies selbst in dem von dir geposteten Behind-the-scenes-Clip, Joe. Bei etwa 1:45 dreht er sich zur Kamera und sagt: „Ich habe dies nicht choreografiert. Ich filme es nur.“ Er distanziert sich vollkommen von allem, was während des Panther Dance auf der Leinwand passiert.

Joe: Ganz genau. Es gibt Zitate in meinem Artikel, da sagt er ähnliche Dinge – im Wesentlichen, dass er für dieses Video angestellt wurde. Er sagt dies wahrlich nicht aus Bescheidenheit, sondern weil er sich von dem, was Michael tut, distanzieren will.

Willa: Ja, es scheint mir auch so. Er scheint sich mit dem Abschnitt des Panther Dance in dem Video sehr unwohl zu fühlen. Und das ergibt Sinn, denn es ist, wie du sagst, die Stelle, an der „der weiße Regisseur (John Landis) entthront wird“. Und Michael Jackson bietet hier nicht nur der Rolle des weißen Regisseurs die Stirn, sondern, sogar noch wichtiger, der langen Geschichte schwarzer Menschen und schwarzer Kultur in den Darstellungen Hollywoods. Ich denke, es ist in diesem Zusammenhang sehr signifikant, dass der Höhepunkt des Panther Dance, wenigstens für mein Empfinden, der Fall des Schildes des Royal Arms Hotels ist, welches mit einem Sprühnebel aus Funkenflug explodiert. Hier geht es um den schwarzen Widerstand gegen „Königliche Waffen“ (Royal Arms) und diese Art kolonialer Ideologie und gegen eine Filmindustrie, die von dieser rassistischen, kolonialen Weltsicht durchdrungen ist.

Ein wichtiger Leitgedanke dieser Weltsicht ist das Verbot gegen Rassenmischung, wie du in deinem Artikel festgestellt hast. Aber dieses Verbot ist keine gesetzliche Anordnung, die wie in der Vergangenheit gerichtlich eingefordert wurden. Stattdessen wurde es verinnerlicht und wird nun durch die Gefühle weißer Frauen durchgesetzt, die beim Anblick schwarzer Männer Abscheu oder Widerwillen empfinden, oder durch die Gefühle weißer Männer, die Zeuge einer Verbindung zwischen einer weißen Frau und einem schwarzen Mann werden und mit intensiver Wut reagieren.

Diese neue Art von postkolonialem Rassismus – „ein Gefühl von Verachtung in weißen Menschen, insbesondere in weißen Frauen, gegenüber farbigen Menschen zu erzeugen“, wie Griffith sagte – bildete den Kern der amerikanischen Filmindustrie seit ihrer Gründung. Und das ist es hauptsächlich, womit es Michael Jackson im Panther Dance aufnimmt, wie du so gut in deiner Analyse von Birth of a Nation und Black or White zeigst.

Joe: Nun, ich hab’s jedenfalls versucht. Es handelt sich um einen faszinierenden Kurzfilm, und wie bei so vielen von Michaels Werken lohnt es sich, tief einzutauchen. Im Grunde gibt es jetzt, wo ich mit dir darüber gesprochen habe, noch mehr, dass ich gern in meinen Artikel einbeziehen würde!

Willa: Oh, ich verstehe, was du meinst – es braucht ein Dorf, um Michaels Werke vollkommen zu verstehen! Ich habe jahrelang über Black or White nachgedacht, aber dennoch hat dein Artikel völlig neue Sichtweisen auf diesen unglaublichen Film für mich eröffnet. Und wenn du erst einmal eingetaucht bist, entdeckst du immer mehr und es ist schwer aufzuhören.

Joe: Aber ich vermute, so es ist es am besten. Ich musste den Artikel unter den gegebenen Umständen um etwa 6000–7000 Wörter kürzen. Das liegt in der Natur eines akademischen Artikels, und eigentlich, einer Veröffentlichung grundsätzlich. Aber ich zweifle nicht daran, dass über diesen Kurzfilm auch weiter auf frische und fesselnde Art geschrieben wird. Wie Susan Fast in ihrem erstaunlichen 33 1/3-Buch über Dangerous feststellt, hat kein anderer Song oder anderes Video von Jackson mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit erregt. Es fing 1991 mit Armond Whites phänomenalem Artikel für The City Sun an und setzte sich über Jahre fort, ganz besonders seit Jacksons Tod 2009. Mein Artikel war seit einigen Jahren in Arbeit (es war das erste Kapitel, das ich für meine Dissertation geschrieben habe), es ist also aufregend endlich seine Veröffentlichung zu erleben!

Willa: Das ist es wirklich, ganz besonders, da dein Artikel dabei aufzudecken hilft, wie wahrlich revolutionär und gewaltig Black or White zu seiner Zeit war, nur wenige Monate, nachdem das Niederschlagen von Rodney King auf einem Video festgehalten worden war, und wie eindringlich es bis heute ist … auch wenn die ursprüngliche, elfminütige Version schwer zu finden ist – es ist einfach zu stark für Vevo!

Dein Artikel ist inzwischen also herausgegeben und erhältlich?

Joe: Ja, der Artikel ist nun im Journal of Popular Music Studies in der Ausgabe vom 27. März veröffentlicht worden. Unglücklicherweise ist es ziemlich teuer, wenn man es im Ganzen lesen will. Ich würde begrüßen, wenn es frei zugänglich wäre, aber vorerst ist es urheberrechtlich geschützt. Susan Fast hat in ihrem Blog kürzlich eine großartige Erklärung über den akademischen Veröffentlichungsprozess verfasst, der, wie viele andere Branchen, immer noch versucht herauszufinden, wie mit Inhalten im digitalen Zeitalter umgegangen wird und wie sie zugänglich gemacht werden sollen.

Willa: Ja, akademische Journale sind zeitaufwendig in der Erstellung, wie Susan erklärt – das ist der Grund, warum diese Artikel so teuer sind. Es geht nicht um Profit. Autoren wissenschaftlicher Texte verdienen nichts an der Veröffentlichung, und wir besitzen nicht das Copyright. Ich wollte also etwa meinen Artikel „Monsters, Witches, Ghosts“ hier bei Dancing with the Elephant posten, aber das durfte ich nicht – ich wurde stattdessen um eine Zusammenfassung mit einem Link zum vollständigen Artikel gebeten. Glücklicherweise führen die meisten Universitätsbibliotheken das Journal of Popular Music, so haben diejenigen, die in der Nähe eines College oder einer Universität wohnen, wahrscheinlich kostenlosen Zugriff auf deinen Artikel.

Ich möchte außerdem daran erinnern, dass wir einen Link zu deinem Eintrag über Thriller in der Library of Congress in unserem Reading Room bereitstellen, aber ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, mit dir darüber zu reden. Dieser Artikel wurde also für die Library of Congress geschrieben und auf dem National Register abgelegt, ist das richtig?

Joe: Ja stimmt, ich wurde gebeten, einen kurzen Text über Thriller zu schreiben, was eine wirkliche Ehre für mich war. Das Register beinhaltet nun über 400 Eintragungen. Jede dieser Eintragungen wurde unter Beteiligung des National Recording Preservation Board von der Library of Congress ausgewählt, weil sie als so entscheidend für die Geschichte Amerikas erachtet werden – ästhetisch, kulturell oder historisch gesehen – sodass sie dauerhafte Archivierung in der nationalen Bibliothek verlangen. Das Register ist in Kontakt mit Studierenden und Musikkritikern getreten, damit diese mithilfe einer Auswahl wissenschaftlicher Aufsätze über jeden der 400 Titel des Registers, von denen jeder etwa aus 1000 Wörtern besteht, ihre Website gestalten. Leute, die Musikgeschichte lieben, sollten sich also auch einige der anderen Aufsätze ansehen – ich habe mehrere gelesen und es handelt sich bei ihnen um großartige Lektüre.

Willa: So ist es in der Tat. Ich habe gerade den Eintrag „Blue Moon of Kentucky“ von Bill Monroe, den Erfinder von Bluegrass, gelesen und interessanterweise beginnt es mit einem Vergleich zwischen ihm und D.W. Griffith:

Genau wie bei Martha Graham und möglicherweise D.W. Griffith, wurde das, was er während seines Lebens erschuf, zu einem gänzlich neuen Kunstgenre, einer Sprache, einem Vokabular, auf deren Spur hunderte weiterer Künstler folgten.

So wie Martha Graham den modernen Tanz begründet hat und möglicherweise D.W. Griffith – mit Birth of a Nation – den modernen Film, erschuf Bill Monroe das Genre Bluegrass. Hier ist eine vollständige Auflistung von Aufsätzen des Registers und eine Liste der Aufnahmen.

Nun, ich danke dir so sehr, dass du hier warst, Joe! Es ist immer ein Vergnügen, mit dir zu reden.

Joe: Danke, Willa. Es ist jedes Mal großartig, mit dir zu reden. Und bestelle Joie herzliche Grüße von mir!

Willa: Das werde ich!

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