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“A lot of people misunderstand me. That’s because they don’t know me at all.” – Michael Jackson


„Is It Scary“ gilt als Höhepunkt von Michael Jacksons Ausflug zum Gothic. Jackson präsentiert sich darin als spektakulär, eigenwillig und exzentrisch. Das Lied wirft Licht auf seine persönliche Wahrnehmung und den Wunsch, sowohl Entertainer als auch Mensch zu sein. Jackson offenbart durch seine Musik seine Verletzlichkeit und seine tiefe menschliche Seite; eine ausgeprägte Persönlichkeits- und Identitätsdarstellung, die Voreingenommenheit kontert. Er bleibt standhaft, selbst inmitten gesellschaftlichen Drucks, „normal“ zu sein, und behält seine Authentizität.


Is It Scary ist Jacksons Höhepunkt beim Vorstoß zum Gothic. Es ist vielleicht auch seine beste Antwort darauf, wie er öffentlich wahrgenommen wird, als eine Kombination von Spektakel, Schurke und Freak. Wenn Childhood sein persönlichster Song ist, wie Jackson es einmal sagte, dann ist Is It Scary das dazu nötige Gegengewicht. Schaurig, aufrüttelnd und aufschlussreich – ein angemessener Abschluss von Blood On The Dance Floor, diesem Meisterstück-Konzept aus fünf düsteren Songs.

Eine frühe Version von dem Stück schrieb Jackson zusammen mit Jimmy Jam und Terry Lewis Anfang der 90er. Jackson war jedoch mit dem Track nicht zufrieden und formte ihn in den folgenden Jahren weiter aus und „lies ihn zu sich sprechen“. Vergleicht man den frühen Down-Tempo Groove Mix mit der Album-Version, erhält man einen aufschlussreichen Einblick in Jacksons Prozess, einen Song zu entwickeln, bis er genau richtig ist. Der finalen Version wurden nicht nur einige der für den Song wichtigsten Textteile zugefügt, sondern sie bekommt auch die notwendige Atmosphäre, Drama und Leidenschaft, wodurch dem wirklichen Schmerz und Pathos der Lyrics ermöglicht wird, mitzuklingen.

Der Song beginnt mit den beinahe gleichen Beschreibungen wie Ghosts, Bilder von umfassenden Geistererscheinungen und Ghouls, knarrende Stufen und einengende Wände, akustisch dargestellt, eine Tür schließt sich, die Stimmung wird verdichtet, ein Herz fängt schnell zu schlagen an und ruft eine Art von Klaustrophobie, Angst und Panik hervor. Es ist wie ein symbolischer Abstieg in eine Gefängniszelle. Hier wird ganz deutlich, dass Michael Jackson seinem Publikum einen Spiegel vorhält.

„I’m gonna be exactly what you wanna see“ / „Ich werde genau das sein, was du sehen willst“, singt er. Mit anderen Worten gesagt ist er in diesem geschlossenen Raum bereit zu performen, zu unterhalten. Was immer jemand in ihm oder durch ihn sehen will, wird über den Zuschauer ebenso viel enthüllen wie über das Subjekt. „It’s you who’s taunting me“ / „Ihr seid es, die mich verspotten“ singt er weiter direkt an seine Kritiker gerichtet. „Because You’re wanting me to be the stranger in the night“ / „Weil ihr wollt, dass ich der Fremde in der Nacht bin.“ Das „Verspotten“ dient hier dazu, seine Andersartigkeit auszugrenzen, sie in etwas ‘freakisches’ und nicht erkennbares zu verwandeln. Er wird zu einer Art modernem Barden, das Publikum keucht, klatscht, spöttelt und lacht, aber missversteht die wahre Natur des Performers und der Performance fundamental.

Kulturkritikerin Judith Cole sagt, dass Jackson „sich zu verschiedenen Punkten seines Lebens und seiner Karriere, der Rolle/dem lyrischen Ich einer Reihe von Minnesängern anpasst, darunter Long Tail Blue, Dandy Blue Jim, Zip Coon, Master Juba und sogar Jim Crow.“ Ein Minnesänger soll natürlich unterhalten, nicht nach seinen eigenen Bedingungen, sondern so, wie es von ihm erwartet wird, und Jacksons Widerstreben dieses zu tun, untergräbt die ihm gegebene Rolle. „Die Geschichte des amerikanischen Entertainments (und Jacksons eigener Platz in dieser Geschichte) ist nie weit entfernt von Jacksons Denken,” beobachtet Kulturkritiker David Yuan. „Er macht klar, dass er denkt, afroamerikanische Musik sollte nicht auf einen Nebenschauplatz in der amerikanischen Kulturgeschichte verbannt werden… es ist wichtig zu erkennen, wie die häufig erzählte Geschichte von Jacksons Aufstieg zum Stardom der institutionellen Geschichte des afroamerikanischen Entertainments ähnelt – und der institutionellen Geschichte der Freak-Show.“

Seine Unfähigkeit oder sein Widerwille, gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen und „normal“ zu werden, erzürnt, verwirrt und fasziniert die Menschen zur gleichen Zeit. Yuan fährt fort: „Michael Jackson ist der definitive Celebrity-Freak unserer Tage… (und) die perplexe Öffentlichkeit sieht ihn als den Vermittler seines eigenen „Enfreakments“

Mit anderen Worten, seine „Entscheidung“ der Freak zu sein verschlimmert die Gegenreaktionen noch mehr.

Ein scharfsinniger Jackson realisiert dieses Rätsel (Vexierspiel) und konfrontiert die Zuhörer mit einer Reihe von Fragen: „Am I amusing you/or just confusing you? Am I the beast you visualized?“ / „Amüsiere ich euch, oder verwirre ich euch? Bin ich das Biest, das ihr euch vorgestellt habt?“ Im Grunde fragt er, ob er als etwas Geringeres als ein Mensch wahrgenommen wird. In Margo Jeffersons Buch „On Michael Jackson“ beschreibt sie den historischen Kontext einer solchen Frage. „Als der Bürgerkrieg begann, hatte (P.T.) Barnum gerade einen englischen Zirkus-Artisten in schwarzem Make-up und mit einem Pelzumhang vor einen Dschungel-Hintergrund gestellt, und fragte das Publikum: „Was ist das?“ 1875 nahm er einen Afroamerikaner für diese Rolle… „Ist es eine niedere Art Mensch`? Oder eine höhere Art Affe? Keiner kann es sagen! Vielleicht ist es eine Kombination von beidem. Es ist unbestritten die erstaunlichste lebende Kreatur…“ Jefferson fährt fort: „Michael Jackson verkörpert Spurenelemente von dieser ganzen Historie… Seine Rasse, sein Geschlecht, seine Sexualität, sein Alter sind völlig verschwommen und schwer einzuordnen. Für viele wird er deshalb zu einem „Was ist es?“

Durch diesen Kontext treffen Zeilen wie „And if you wanna see, Eccentric oddities, I’ll be grotesque before your eyes“ / „Und wenn ihr exzentrische Seltsamkeiten sehen wollt, werde ich vor euren Augen grotesk“ auf einer tieferen Ebene. Er wird grotesk sein, weil es das ist, was die voreingenommene Kultur sieht und sehen will. Es ist das, wozu sie ihn gemacht haben. Er ist – im wahrsten Sinn des Wortes – das Produkt einer amerikanischen Kultur. Er sagt: „Wenn ich euch verängstige, dann deshalb, weil ich so sein soll, und dann werde ich es sein.“

Später erinnert er uns jedoch daran, dass hinter der Maskerade eine verletzte/leidende Seele steht. Er singt: „If you came to see, the truth, the purity, it’s here inside a lonely heart.“ / „Wenn ihr gekommen seid, die Wahrheit, die Reinheit zu sehen, sie ist hier, in einem einsamen Herzen“. Das Paradoxum ist indes, dass er sich selbst nur offenbaren kann durch das Performen, das Erneuern der verschwommenen Linie zwischen dem Entertainer und dem Menschen, der Rolle und der Persönlichkeit. Diesem komplizierten Schicksal ergeben, erklärt Jackson, was das Motto seines Lebens sein könnte: „Let the performance start!“ (Lass die Vorführung beginnen!) 

Der Höhepunkt präsentiert Jackson, wie er mit Kraft seine Wut durch einen Chor von Geistern bündelt, seinen Schmerz herauslässt als etwas, was sich wie Beschwörung/Exorzismus anfühlt. Das ist es, worauf sich Neil Strauss von der New York Times bezog, als er von Jackson sprach, der „wie der Elefantenmensch schreit, dass er ein Mensch sei.“ 

Es beinhaltet eine der schmerzvollsten, jedoch stärksten künstlerischen Äußerungen in Jacksons Karriere.

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