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“A lot of people misunderstand me. That’s because they don’t know me at all.” – Michael Jackson


Michael Jackson begann 2008 eine Freundschaft mit Christian Audigier, einem Modeunternehmer. In diesem Zeitraum gingen sie zusammen einkaufen, trafen sich zu Weihnachten und planten eine gemeinsame Modelinie. Michael Jackson verstarb im Juni 2009 und Christian Audigier wollte ihm ein Denkmal setzen, indem er das Anwesen in Bel Air in ein Museum verwandeln wollte. Letztlich entschied er sich dagegen, da er die Erinnerung an Michael Jackson und das Vertrauen, das er ihm schenkte, nicht verraten wollte.



This Is It

„Seine Musik hat Milliarden von Menschen berührt. Seine Träume haben die Welt inspiriert. Doch eigentlich hatte er nur einen einzigen Traum … Den er mit euch teilen wollte.“

(aus dem Vorspann zu dem Film This Is It, 2009)

(This Is It, Michael Jackson, Paul Anka und der Titel der Dokumentation von Kenny Ortega)

Michael Jackson+ Christian Audigier – 30.5.2008

Die lange schwarze Limousine scheint einen Moment lang über dem Sunset Boulevard zu schweben, dann biegt sie nach rechts ein, auf den North Carollwood Drive. Wir sind in Bel Air, im Viertel Holmby Hills. Michael Jackson wohnt Hausnummer 100. Monsieur Patrick lenkt den Maybach. Peter Lopez, einer der Anwälte und Manager des Stars, sitzt neben ihm. Auf dem Rücksitz warte ich darauf, dass sich Michael Jackson uns anschließt.

Dieses Anwesen kenne ich gut, denn es gehört der Frau von Hubert, dem Geschäftsführer meines Unternehmens, einem sehr engen Freund. Im Dezember 2008 hatte der Finanzberater von Michael Jackson dieses im spanischen Stil erbaute Herrenhaus – das die Amerikaner schlicht und einfach „das französische Schloss“ nennen – für ein Jahr gemietet. Monatsmiete: 100.000 Dollar. Es ist schon komisch, in den 1960-Jahren, während seiner Zeit als Hollywood-Schauspieler, lebte Elvis Presley ebenfalls in diesem Viertel. Er liebte Bel Air und wohnte 565 Perugia Way, 1059 Bellagio Road oder auch 1550 Rocco Place, in der Nähe des Bel Air Hotels. Der King Of Pop als Nachbar des King Of Rock’n’ Roll.

Um 21:15 Uhr öffnet sich das schwere Portal zum „französischen Schloss“. Wir fahren in den Park hinein und umkurven dabei den Springbrunnen. Zwei Leibwächter öffnen das monumentale Eingangsportal. Michael erscheint, seine hochgewachsene, schmale Silhouette zeichnet sich ab, er ist ganz in Schwarz gekleidet. Lange Haare, Filzhut, eine knappe, sehr eng anliegende Gabardinjacke, Jeans und Boots. Der einzige Farbtupfer, der bei diesem Look à la Johnny Depp in Dead Man aufleuchtet, ist ein rotes Ed-Hardy-T-Shirt. Man könnte meinen, er sei geradewegs aus einem Film wie Dick Treacy oder Sin City herausgetreten. Einfach eine Klasse für sich!

Er begrüßt uns mit sanfter, aber sehr viel kräftigerer Stimme, als sie sonst bei seinen Medienauftritten zu hören ist: „Hello everybody.“ Dann bedankt er sich bei mir. „Christian, ich finde es wirklich toll, dass du dir die Zeit nimmst, mit mir shoppen zu gehen. Ich weiß, dass deine Zeit sehr wertvoll ist, du hast eine Familie, Kinder, aber … ich bin es nicht gewohnt, Kleidung einkaufen zu gehen.“

Das Komplizierteste an der Vorbereitung für diesen denkwürdigen 27. Februar 2009 war für mich nicht, eine Zeitlücke zu finden, sondern den Direktoren der Dior und Dolce & Cabbana Boutiquen am Rodeo Drive zu erklären, warum sie ihre Läden bitte bis am späten Abend öffnen sollen – nämlich weil Michael Jackson sich ein paar Klamotten für die am 5. März geplante Pressekonferenz in London kaufen will, auf der er This Is It, so der Codename seines großen Comebacks, ankündigen will.

21:30 Uhr. Der Maybach hält vor dem Liefereingang der Dior Boutique in einer kleinen Parallel-Straße zum Rodeo Drive. Ich möchte vermeiden, dass der King Of Pop in das Gewühl und Geschubse der Menge von Fans und Paparazzi gerät, die sich vor den Schaufenstern des Luxuscouturiers versammelt haben. Das ist mir umso wichtiger, als der Superstar an diesem Abend – was selten vorkommt – von keinem einzigen Leibwächter abgeschirmt wird. Die Boutique ist leer. Verkäufer und Verkäuferinnen sind emsig bemüht, gestresst, aber stolz, einen solch außergewöhnlichen Moment miterleben zu können. Michael genießt diese nächtliche Klamotten-Sause vergnügt und schaut mir dabei zu, wie ich ein in Schwarz-Gold gehaltenes Kleidungsstück aussuche. Ich lasse mich von einem Look inspirieren, den ich auf bestimmten Bildern gesehen habe, die der Fotograf Matthew Rolston gemacht hat.

Den Körperbau des Künstlers habe ich vor meinem geistigen Auge: etwa 1,80 Meter groß, sehr schlank, lange Beine … Im Eilschritt gehe ich an den Regalen entlang und treffe meine Wahl: Was die Farben anbelangt – metallisch-blaue und rosa fluoreszierende Hemden, schwarze und weiße Seide … Nylonjacken … Boots … Die Verkäuferinnen kümmern sich um die Ware.

Michael murmelt: „Nice…good…I love it.“ Innerhalb einer halben Stunde ist die Sache abgehakt. Ich bin etwas enttäuscht, da war nichts, was mich wirklich angemacht hat. Kein Wow-Effekt. Es ist Zeit, zu Dolce & Cabbana zu gehen, direkt gegenüber, auf der anderen Seite des Rodeo Drive. Die Menge von Neugierigen, Fans, Fotografen, Kameraleuten und Paparazzi ist weiter angewachsen. Die Fans skandieren den Namen des „Außerirdischen“: „Michael! Michael! Michael!“ Ich bin etwas beunruhigt und meine zu Monsieur Patrick: „Wir werden hinten hinausgehen, das ist …“ Lächelnd unterbricht Michael und weist mit dem Finger auf die Straße: „Gehen wir!“

Als echtes Marketing-Genie will er seine Rückkehr ins Rampenlicht so gut wie möglich in den Medien verbreiten und die Wirkung seiner geplanten Pressekonferenz verstärken. Besser als jeder andere beherrscht er alle Winkelzüge, alle Hebel, die ganze Klaviatur: die „Überraschungs-Spazierfahrten“ im Rollstuhl, mit Chirurgenmaske vor dem Gesicht, „geheimes“ Shopping – wie ein Scheich in eine schwarze Burka gehüllt, samt ebenfalls verschleiertem Sohn …

Kaum ist die Tür offen, geht die Jagd los! Es dauert zehn Minuten, um 50 Meter voranzukommen. Wir sind eingekesselt, werden angerempelt. Die Fans wollen ihr Idol berühren. Ich versuche, ihn zu beschützen, ergreife seinen Arm und breche eine Schneise durch die Massen. Er lächelt, freut sich wie ein Kind, lässt die ganze Aufregung auf sich wirken. Wie bei seinem überraschenden Besuch auf meiner Geburtstagsfeier testet er erneut seine Popularität. Schließlich schaffen wir es bis zu Dolce & Cabbana und quetschen uns in den Laden hinein. Unter dem Druck der Menge hat das Wachpersonal Probleme, die Tür hinter uns wieder zu schließen. Der Mann im schwarzen Hut ist entzückt.

Michael Jackson’s Birthday Dedication to Christian Audigier
30.5.2008 – Michael ist Überraschungsgast bei Christian Audigiers 50. Geburtstagsparty

Szenenwechsel, wir sind bei D & G.

Aus den Lautsprechern erklingt R&B-Musik und der Tänzer fängt an, sich im Rhythmus zu wiegen. Wie bei Dior treffe ich meine Auswahl innerhalb von 15 Minuten: mit Initialen versehene Blazer, Anzüge in Grau und Schwarz metallic, Hemden, Boots … Er lässt mich gewähren, amüsiert, aufmerksam. Das einzige Teil, das er sich selbst auswählt, ist ein mit Anhängern, Medaillen und bunten Bändern verzierter Gürtel. Dann gehen wir hinauf in die erste Etage, wo es geräumige Umkleidekabinen gibt. Und nun verwandelt sich Doktor Jackson in Mister King Of Pop.

Spielerisch geht er mit den Sachen um, tänzelt. Dann macht er seinen Oberkörper frei, um Hemden und Jacken anzuprobieren. Und ganz im Gegenteil zu dem, was ein paar Monate später geschrieben werden sollte, ist er überhaupt kein „Skelett“ und wiegt auch nicht nur „45 Kilogramm“. Er ist schlicht und einfach zart gebaut und von jener dünnen, aber kräftigen Schlankheit berühmter Tänzer. Verblüfft schaue ich ihm zu, wie er vor dem Spiegel ein paar Tanzschritte macht und in seiner unvergleichlichen Art Kampfsportgesten andeutet. Geschmeidig, elastisch …

Seine Augen funkeln vor Freude. Ich spüre, wie glücklich er gerade ist. Jetzt macht er im strengen Marschschritt eines paradierenden Soldaten weiter.

Shopping-Tour mit Michael

Ich frage mich, was ich eigentlich hier mache. Denn eigentlich hat doch er, dieser überlebensgroße Künstler, die Mode der 1980er- und 1990er-Jahre beeinflusst, eine Art von Rock ‘n’ Roll geprägte Disney-Mode erfunden, mit schwarzen Hosen, die kurz über weißen Socken und Mokassins endeten. Das ganze mit einem makellosen, strassbesetzten Handschuh aufgepeppt. Er war es auch, der jene Glamour-Pop-Rock-Hut-Mode lancierte, die heute von Justin Timberlake und Konsorten aufgegriffen wird, und der die von Jimi Hendrix, diesem Purpurzigeuner, und den Beatles der Sergeant Pepper-Periode berühmt gemachten Husarenjacken wieder zur Mode machte. Und er war es auch, dieses sich immer wieder neu erfindende Chamäleon, der Modeschöpfer aus der ganzen Welt vor Neid erblassen ließ, als er mit Lust und Gespür Jacken, die ein wenig Retro und nach Fred Astaire aussahen, mit Reißverschlüssen, Ösen und Gamaschen aus Metall kombinierte. Ironie des Schicksals: Gerade jener Fred Astaire, der wegen der Lebhaftigkeit seines Tanzstils „Fast Freddy“ genannt wurde, schickte Michael Jackson, nachdem er ihn in einer Sendung anlässlich des 25. Jubiläums von Motown gesehen hatte, ein Telegramm: „Ich bin ein alter Mann, ich habe auf die Wachablösung gewartet. Danke!“

Der Tanzvirtuose war zurück!

Offensichtlich genießt Michael es, beraten und eingekleidet zu werden. Ein paar Minuten später verlassen wir D & G durch den Notausgang, denn die Menge ist mittlerweile beträchtlich angewachsen. Auf dem Rückweg scherzt der Star begeistert in einer Tour mit Peter Lopez.

„Das war genial! Ich fand es sehr lustig. All diese Kleidung steht mir so gut. Christian, du bist wirklich der König der Mode!“ Zweite Weihe – diesmal im privaten Rahmen. Für mich ist sie sehr viel wertvoller als die Erste. Während jenes ungewöhnlichen Geburtstags hat der Künstler mich gewissermaßen auf die Probe gestellt. Dann hat er sich diese nächtliche Klamottentour gewissermaßen als Steigerung gegönnt, um meine Professionalität erneut zu testen. Eigentlich stellt er mich ständig auf die Probe. Und ich kann nicht genug davon bekommen.

Unsere dritte Begegnung ist ebenfalls sehr ungewöhnlich.

Fast auf den Tag genau einen Monat später ruft mich Peter Lopez wieder an: „Christian, Michael lädt dich ein, bei ihm Weihnachten zu feiern – das ist eine große Ehre.“

„Aber Weihnachten ist doch erst in neun Monaten.“

„In diesem Jahr feiert Michael mit den Kindern Weihnachten im März.“

Wieder geht es zum Carolwood Drive, diesmal in Begleitung meiner Frau Ira. Ich habe meinen Mitarbeiter Oleg gebeten, den Lieferwagen mit den Geschenken für dieses ungewöhnliche Weihnachtsfest zu fahren. Dutzende sorgfältig eingepackte Kleidungsstücke, Autos und Hubschrauber mit Fernsteuerung für die Buben, weitere Spielsachen … Ich weiß nicht, warum mir, als wir vor dem Haus ankommen, diese Einzelheiten auffallen: die Uhr am Giebel der Fassade, die zwei Statuen Blumen tragender schwarzer Frauen, die beiderseits der Eingangstür stehen. Die Leibwächter lassen uns eintreten. Ich sehe zwei mächtige, in japanischem Stil gehaltene Krüge aus blauer Fayence, die monumentale Eingangshalle, die beiden von ihr abgehenden Salons, den Flügel, die Treppe, die hinauf zu den Zimmern führt, und, unterhalb des Zwischengeschosses, einen riesigen Weihnachtsbaum samt dazugehöriger Dekoration: Kugeln, Girlanden, eine Unmenge an blitzenden bunten Glühbirnen. Oleg legt die Geschenke zu den anderen Gaben unter den Tannenbaum.

Plötzlich erklingt im ganzen Haus Jingle Bells und Michael tritt, wie immer ganz in Schwarz gekleidet, mit einem Rollkragenpullover, den wir bei Dior gekauft hatten, zusammen mit seinen drei Kindern aus einem anderen Salon. Paris, Blanket und Prince Michael tragen Pyjamahosen mit unterschiedlichen Oberteilen. Sie sind wunderschön und lächeln. Michael strahlt. Er lässt die Kinder nicht aus den Augen und findet sichtlich großes Vergnügen daran, ihnen beim Öffnen und Entdecken der Geschenke zuzuschauen.

Ich nutze die Gelegenheit, mich ein wenig im Haus umzusehen, das genauso opulent und überladen eingerichtet ist, wie ich es mir vorgestellt hatte: Zierleisten, bemalte Decken, Kristalllüster, riesige Gemälde in vergoldeten Rahmen …

„Lasst uns essen!“

Michael weist uns mit seiner Hand den Weg zum Speisesaal. Um dorthin zu gelangen, durchqueren wir eine geräumige Küche, in der ein schöner Tisch steht. Im Vorbeigehen fällt mir eine exquisite Sammlung von einem halben Dutzend Automaten auf. Die Chefköchin, eine breit lächelnde Schwarze, hat für uns Krabben und eine Zwiebeltorte zubereitet. Michael kann nicht ruhig sitzen bleiben. Alle fünf Minuten steht er vom Tisch auf, deutet einen Tanzschritt an, dreht sich um die eigene Achse. Ganz offensichtlich ist er wie besessen von den Vorbereitungen für seine Konzertserie, die im Juli in der O2 Arena in London geplant ist, er spricht nur von seinem Auftritt. Er stellt sich Bulldozer vor, Bagger, monströse Maschinen, die für ihn die Bedrohung der Natur symbolisieren sollen. Und immer wieder macht er diese roboterhaften, ruckartigen Bewegungen, abwechselnd mit Moonwalk-Schritten, Version drittes Jahrtausend. Wie schon bei Dolce & Cabbana spüre ich genau, dass er unaufhörlich und immer wieder für seine Show probt. Und wieder einmal wirft mich dieses unglaubliche Privileg, Zeuge davon zu sein, beinahe um. Warum ich?

Da reißt mich seine Stimme aus meinen Träumen: „Wollt ihr noch Nachtisch? Ich stehe nicht so auf Desserts.“

Erinnerungsfoto vom „Weihnachtsfest“ im März 2009

Das ist das letzte Mal, dass ich ihn lebend sehe. In Topform. Glücklich, mit seinen Kindern zusammen sein zu können. Und ganz klar auf die Herausforderung konzentriert, die ihn erwartet. Aber welcher Künstler würde auch nicht vor Lampenfieber vergehen, wenn er sich einer Weltöffentlichkeit präsentieren sollte?

Rückblickend habe ich oft über dieses seltsame, im März begangene Weihnachtsfest nachgedacht. Und nach Michaels Ableben und der Welle von „Enthüllungen“ habe ich mich gefragt, ob er nicht sogar wusste, dass seine Tage gezählt waren, dass er nächstes Weihnachten nicht mehr erleben würde, und vielleicht hatte er es deshalb vorverlegt, um noch einmal mit den Kindern gemeinsam feiern zu können. Dann aber habe ich mich doch von solchen pessimistischen und morbiden Gedanken frei gemacht, weil ich damals seine unglaubliche Lebenslust verspürt und seine Fähigkeit gesehen habe, andere Menschen zu begeistern.

Es war das letzte Mal, dass ich ihn lebend gesehen habe. Doch ich sollte noch einmal Gelegenheit haben, mit ihm zu sprechen.

Die Arbeit an der Modelinie Michael Jackson kommt zu meiner großen Zufriedenheit gut voran.

Der King Of Pop und seine Anwälte haben mir offiziell die Erlaubnis erteilt, das Logo MJ zu benutzen. Ich habe ein großes, schwarz lackiertes, mit Metallnägeln verziertes und mit drei Schnallen verschlossenes Buch herstellen lassen. Auf der ersten Seite steht ein handgeschriebener Satz:

„The greatest education in the world is watching the masters at work.“

(„Die weltweit beste Ausbildung besteht darin, den Meistern bei der Arbeit zuzuschauen.“)

Darunter ein weiterer Satz:

„Christian you are the King Of Fashion.“ Michael Jackson

Die Kollektionen lehnen sich an die Titel seiner berühmtesten Hits an: Bad, Thriller, Billie Jean. Das Grundkonzept basiert auf den Farben Schwarz und Gold. Militärjacken, mit Tressen verzierte T-Shirts, Handschuhe, Boots. Diese Modelinie habe ich wie eine Art Lebensstil mit internationaler Ausprägung entworfen. Mit der globalen Vermarktung im Blick habe ich sogar ein Parfum MJ einbezogen, das in einem eleganten, schwarz-goldenen Flakon präsentiert wird.

Ich möchte die Legende noch weiter verfeinern. Natürlich geht dieses Buch zwischen dem Team von Jackson und meiner Mannschaft mehrfach hin und her. Die Anwälte bereiten ihre Schriftstücke vor, Anfragen zur Autorisierung mehren sich, Peter Lopez vermittelt zwischen allen Beteiligten, zwei- oder dreimal reicht er das Telefon an Michael Jackson weiter, der mir mitteilt, wie zufrieden er mit der Kollektion ist. Und stets beendet der Künstler unsere Gespräche mit: „God bless you, Christian.“ Gott segne dich, Christian.

Im April haben wir zwei- oder dreimal miteinander gesprochen. Dann bin ich nach Frankreich gefahren, um mein Buch vorzustellen und meine Geburtstagsparty während des Festivals in Cannes vorzubereiten.

Als ich mich an einem schönen sonnigen Tag mit den Managern von 50 Cent und Lenny Kravitz, die bei meinem Freud Jean Roch auftreten sollen, gerade auf meinem Schiff unterhalte, ruft mich der Direktor der ED Hardy Boutique auf der Melrose Avenue an – völlig aufgelöst.

„Christian, Michael Jackson ist mit seinen Kindern im Laden.“

„Er soll sich wie zu Hause fühlen, schenkt ihm alles, was er gerne haben möchte. Und vor allem: verwöhnt die Kinder.“

„Ja, aber er hätte gerne ein Dekorationsstück des Ladens, die Statue des tätowierten Mannes hinter der Bar.“

Ich muss lachen. In einer Ecke des Ladens habe ich aus Holz eine Bar für die Energydrinks einrichten lassen. Und der Barmann ist eine Art Automat aus Holz, der von Kopf bis zu den Füßen tätowiert ist, ein Mitbringsel, das mir mein Freund Renaud Page von einer wichtigen Versammlung von Tätowierern in Kalifornien mitgebracht hat.

„Geben sie ihn mir mal.“

„Guten Tag Christian. Wir amüsieren uns hier gut mit den Kindern. Der tätowierte Mann ist einfach unglaublich.“

„Er gehört dir, Michael.“

„Danke für deine Großzügigkeit. God bless you, Christian.“

Gott segne dich, Christian. Das sind die letzten Worte, die er an mich gerichtet hat.

Am Donnerstag, dem 25. Juni, schaue ich in der Wartelounge von Air France auf dem Flughafen LAX von Los Angeles CNN. Es ist 14 Uhr. Der Flieger nach Paris soll pünktlich gegen 15:00 Uhr starten, wir werden aufgerufen, an Bord zu gehen. Sondermeldung: Der Fernsehsender verkündet, dass Michael Jackson einen Herzstillstand gehabt habe. Die Bilder ziehen an mir vorbei. Das Haus in Holmby Hills … ein Krankenwagen, die berühmte Ambulanz 71 … Ich bin wie versteinert und rufe sofort Peter Lopez an.

„Er atmet noch, Christian. Sie hoffen, ihn retten zu können. Es ist furchtbar.“ Dann muss ich zum Flugzeug. Während ich die langen Gänge entlanglaufe, wähle ich unablässig Peters Nummer. Ständig besetzt. Ich steige in die Maschine. Um 14:30 ruft Peter an. Er ist in Tränen aufgelöst. Zwischen zwei Schluchzern bringt er gerade noch heraus: „Es ist zu Ende, Christian, Michael ist tot.“ Offiziell ist der King Of Pop um 14:26 in der UCLA-Universitätsklinik verstorben. Die Notärzte haben 40 Minuten lang versucht, ihn wiederzubeleben, aber vergeblich. Noch zwei Tage zuvor hatten sämtliche Tageszeitungen nach einer phänomenalen Probe im Staples Center in Los Angeles getitelt: „Der Showman ist zurück!“

Während des Fluges gelingt es mir nicht, einzuschlafen, immer wieder schwirren Erinnerungen an den Mann durch meinen Kopf, der für mich einer der größten Künstler des Jahrhunderts bleibt. Als ich am nächsten Tag am späten Vormittag auf dem Pariser Flughafen Roissy-Charles-de-Gaulle lande, werde ich schon von mehreren Fernsehteams erwartet. Es folgt ein außergewöhnlicher Medienmarathon. Da wird mir bewusst, dass auch ich – in ganz bescheidenem Maße – nun zu einem Teil der Legende des King Of Pop geworden bin. Ein kleiner Teil, aber abgesehen von den Leuten bei den Filmaufnahmen der Proben im Staples Center von L.A., bin ich der einzige Außenstehende, der in seinen letzten Wochen wirklich Kontakt mit ihm hatte. Die Rückkehr ins Rampenlicht während meines 50. Geburtstags, die Shopping-Tour in Beverly Hills, die Fotos vom Weihnachtsfest im März und die von seinem Besuch im Laden.

Während die verrücktesten Gerüchte über den Tod dieses Idols kursierten – über seinen Demerol Konsum, den Reigen der Ärzte -, sind die Journalisten in London, wo ich meine Champagner-Marke vorstelle, und anschließend auch in Berlin hinter mir her. Am Donnerstag, den 2. Juli, treffe ich in Deutschland ein, um an der Modemesse Bread & Butter teilzunehmen, die auf dem Flughafen Tempelhof in Berlin ihre Pforten öffnet. Ich wusste gar nicht, dass ich in Deutschland so populär bin. Zwei Tage lang beantworte ich die Fragen für Dutzende Interviews und werde von einer beeindruckenden Zahl von Fernsehteams gefilmt. Höhepunkt dieses Medienrummels ist mein Besuch auf der Bread & Butter, für die mein Neffe Vincent weiträumige Stände für die Labels Ed Hardy, Christian Audigier, Paco Chicano und Chrystal Rock reserviert hat. An einer Wand hängt ein riesiges Transparent mit einem Foto der jüngsten Werbekampagne für Ed Hardy, das der Starfotograf David LaChapelle aufgenommen hat. Wir sind nicht zu übersehen! Die Auswirkungen sollten beträchtlich sein.

Ein paar Tage nach dem Tod des King Of Pop wird weltweit getrauert. Eine ganze Generation beweint ihr Idol. Längst ist der Schmerz nicht mehr auf die Vereinigten Staaten beschränkt, sondern weltweit spürbar. Selbst der Tod des Kings Elvis Presley hat keine derartige Welle des Mitgefühls verursacht. Und die bescheuertsten Gerüchte nähren weiter den Mythos des gefallenen Engels. „Magersüchtig und erschöpft, war er nicht mehr in der Lage zu tanzen und musste selbst seinen Moonwalk neu lernen. Eine Armee von Geiern umschwirrte ihn …“ Oder: „Die, die Jackson gut kannten, wussten, dass er gar nicht in der Lage war, zehn Konzerte zu geben …“ Oder auch: „Er war dem Heroin der Armen verfallen …“

Am Abend des 2. Juli, als ich, angewidert von solch morbiden „Enthüllungen“, in einem am Wasser gelegenen Restaurant in Berlin sitze, beschließe ich, das Haus – das „französische Schloss“ -, in dem er starb, zu kaufen. Ich will daraus ein Monument zu seinem Ruhm machen, damit seine Legende nie enden möge. Ich möchte in der ganzen Welt die besten Stücke für eine Michael-Jackson-Sammlung kaufen und sie in 100, North Carolwood in Bel Air zum Leben erwecken. Ich will aus dem Haus ein unsterbliches „Graceland“ des King Of Pop machen.

Im Internet werden daraufhin heftige Debatten geführt. Manche Leute werfen mir vor, ich sei ein Opportunist und wolle aus dem noch nicht einmal erkalteten Leichnam meines Freundes Geld machen. Andere begrüßen das Projekt. Da das Haus noch bis zum 20. Dezember 2009 gemietet ist, habe ich alle Zeit der Welt, um die wichtigsten Sammler aufzusuchen.

Am 7. Juli wird Michael Jackson eine letzte Würdigung zuteil. Aus dem Staples Center in Los Angeles wird in alle Welt eine Riesenshow direkt übertragen. Die Verantwortlichen des Fernsehsenders France 2 haben mich zu einer von Elise Lucet moderierten Sondersendung in das Studio eingeladen. Ich habe Lampenfieber und weiß nicht, ob ich das durchstehen werde. Ein feierlicher Moment. Der vergoldete Sarg ist von einer Unmenge roter Rosen bedeckt. Auf einem riesigen roten Herz ist zu lesen: „Wir lieben dich, Michael.“ Der Sänger Smokey Robinson verliest eine Botschaft von Nelson Mandela, dann folgt eine aufgezeichnete Ansprache von Diana Ross. Als Nächstes eine Schweigeminute. Sie dauert etwa 10 Minuten. Die müssen irgendwie überbrückt werden, ein Drahtseilakt, selbst für einen Fernsehprofi – der ich aber nicht bin.

Ich fange an, füge nichts hinzu, erzähle einfach meine Erinnerungen, so schlicht und zurückhaltend wie möglich. Als ich mit den Geschichten von meinem Geburtstag, dem Shopping am Rodeo Drive, dem ungewöhnlichen Weihnachtsfest, den Fotos, den Anrufen und der geplanten Kollektion durch bin, dauert die Schweigeminute immer noch an. Jetzt konzentriere ich mich auf die Anwesenden.

Zuerst die Familie, die bei diesem Ereignis endlich einmal vereint ist. Die Eltern: Katherine, die hingebungsvolle Mutter, und Joe, der von allen so gefürchtete Vater. Die Schwestern und Brüder: Maureen, Janet, La Toya, Jermaine, Tito, Jackie, Marlon und Randy. Und die Kinder, die er so sehr liebte. Es ist rührend, wie sie da in Trauerkleidung stehen: Paris, Prince Michael, Blanket.

Endlich geht die Übertragung weiter. Die Ehrungen der befreundeten Stars sind beeindruckend. Es singen Stevie Wonder, Lionel Ritchie, Usher, Mariah Carey, Jennifer Hudson. Die Schauspielerin Brooke Shields, der Basketballer Magic Johnson, der Produzent Berry Gordy treten auf. Und nicht zu vergessen die weinenden Fans, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden. Doch das ist noch nicht alles gewesen. Auch David Pujadas, Moderator des Nachrichtenjournals von France 2, möchte, dass ich zu ihm ins Studio komme.

Salut Michael! Salut du großer Künstler! God bless you, Michael. Gott segne dich Michael.

Christian Audigiers Tribute an Michael am Ed Hardy Store, Melrose Av., Hollywood, Juli 2009

Am 3. September bin ich zu den privaten Trauerfeierlichkeiten für meinen Freund eingeladen. Doch geschäftliches hält mich leider in Europa auf, sodass ich es zeitlich nicht mehr schaffe, rechtzeitig zur Zeremonie in Los Angeles zu sein. Ira vertritt mich an der Seite des treuen Peter Lopez.

Am Freitag, den 23. Oktober, teilt mir die Familie der Frau von Hubert mit, dass Michael Jacksons Familie die Schlüssel des Hauses in Bel Air übergeben hat. Der Mietvertrag gilt zwar noch bis Dezember, doch ich darf mir das Anwesen im Hinblick auf einen eventuellen Kauf im Januar 2010 noch einmal anschauen. Ich begebe mich also nach Carolwood. Kaum ist das Portal geöffnet, übermannt mich ein Gefühl der Trauer. Ich fühle mich elend.

Als ich dann das Haus betrete, wird der Blues noch größer. In Los Angeles ist noch immer Sommer, es hat über 30 Grad, aber mir ist kalt. Ich friere bis auf die Knochen. Seit jenem denkwürdigen Weihnachtsfest bin ich nicht mehr hier gewesen. Ungefähr zehn Minuten verweile ich in der gigantischen Eingangshalle, dann stürzen die Bilder mit aller Macht auf mich ein. Ich sehe wieder den Weihnachtsbaum, die Girlanden, die Geschenke, Michaels Lächeln. Ich höre die Freudenrufe der Kinder beim Öffnen der Pakete. Ich kann mir vorstellen, wie verwirrt und traurig sie nach dem Tod ihres Vaters sein müssen – ganz allein und ohne ihn in diesem riesigen Haus. Düsternis!

Ich gehe in den ersten Stock. Das Zimmer des Künstlers befindet sich am Ende eines langen Gangs. Sein Bett wurde weggeschafft, doch auf dem Boden sind noch die Spuren zu sehen, neben einem Spiegelschrank. Da entdecke ich, dass auf dem Spiegel etwas steht, das mit Filzstift geschrieben wurde. Ich trete näher und lese:

„Too much work. Too much stress.“

Ich muss jetzt erst einmal nachdenken. Ich durchquere die Halle und begebe mich auf die große Terrasse, von der aus man einen Blick auf den Park, den riesigen Swimmingpool und das beeindruckende „Pool-House“ hat. Dort setze ich mich in die Sonne. Eigentlich bin ich hergekommen, um mir Gedanken darüber zu machen, wie ich das Anwesen herrichten könnte. Ich habe an einen gigantischen, mit Brillanten besetzten Handschuh gedacht, der aus dem Becken des Springbrunnens ragen könnte. Die Ausstattung in Schwarz und Rot. Goldene Schallplatten und die schönsten Fotos des Stars an den Wänden. Seine Sammlung von Automaten im Musiksalon. Seine Videoclips, die ohne Unterlass über die Leinwand des Kinosaals flimmern. Ich könnte heulen.

Ich erhebe mich und verlasse das Haus. Ich habe meine Entscheidung getroffen.

Das „französische Schloss“ zu kaufen, um es in eine aufregende Hommage an die Legende Michael Jackson zu verwandeln, war ein frommer Wunsch, den ich aber nicht mehr umsetzen kann und will. Irgendwie hätte ich das Gefühl, das, was mir von ihm als Erinnerung geblieben ist, und das Vertrauen, das er mir geschenkt hat, zu verraten, statt ihm ein Denkmal zu setzen. Wie erlöst und mit einem Gefühl unendlicher Leichtigkeit bin ich schließlich weggegangen.

Fünf Tage später habe ich zusammen mit Ira die Weltpremiere von This Is It im Nokia Theater in Los Angeles besucht, und dabei ist mir noch einmal klar geworden, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Der Film von Kenny Ortega über die dreimonatigen Proben des King Of Pop, eine mitreißende Hommage an diesen begnadeten Künstler, beweist, dass die Legende Michael Jackson unsterblich ist.

God bless you, Michael!

This is it.

Es ist zu Ende.


Quelle: Von Ganz Unten Zum King Of Fashion

Vielen Dank an Ilke für diesen Text!

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