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“A lot of people misunderstand me. That’s because they don’t know me at all.” – Michael Jackson


Dies ist eine Review von Toni Bowers über das Buch MJ: The Genius of Michael Jackson (von Steve Knopper). Aber Tonis Artikel ist gleichzeitig viel mehr: Ein Text, der sich auch mit anderen, derartigen Biografien auseinandersetzt und ein starkes, aussagekräftiges Plädoyer für Michael und gegen das Genre der „definitiven“ Biografie.


Toni Bowers über
MJ: The Genius of Michael Jackson
Zeit für etwas anderes

„Wer erlaubt sich, die unaussprechlichen Kosten, die ein anderer für sein Leben zahlt, zu beurteilen?“

– James Baldwin

„Ich lege meine Seele in meine Arbeit.“

– Michael Jackson

Brauchen wir eine neue Biografie über Michael Jackson? Was kann eine lohnenswerte Biografie über Jackson, die es wert ist, veröffentlicht und gelesen zu werden, hoffen zu erreichen, nach allem, was bisher schon gesagt wurde? Steve Knopper bietet der langen Reihe der „definitiven“ (wie es auf der Rückseite des Buches behauptet wird) Jackson Biografien einen Neuzugang. Knoppers MJ: The Genius of Michael Jackson folgt Vorgängern bis zurück in die 1980er-Jahre und trägt sehr wenig dazu bei, die schon bekannte Geschichte neu zu interpretieren. Wie die ähnlichen Modelle von Randall Sullivan und J. Randy Taraborrelli1, hangelt sich auch Knopper an Boulevard „Journalismus“ und Klatsch TV entlang, und macht zugleich großen Aufwand um die Recherche. (Fußnoten und Endnoten! Und Index!) Er scheint wenig geneigt zu sein, sowohl sein Material als auch seine eigenen Absichten kritisch zu sehen. MJ berichtet nicht nur über die gleichen Vorkommnisse und Verhältnisse, über die schon Sullivan und Taraborrelli berichteten, es zitiert meistens auch dieselben Quellen und ist in einem ähnlichen Ton geschrieben.

Auf dem Einband gibt sich Knopper als Autor eines Buches über Veränderungen in der Musikindustrie2 und mehrerer Artikel in der kommerziellen Presse, sowie als „mitwirkender Redakteur des Rolling Stone“ zu erkennen. Jeder, der mit Sullivans Untouchable von 2012 vertraut ist, wird hier wohl kurz innehalten. Ja, Knopper ist der zweite Jackson Biograf in nur 3 Jahren, der aus den Reihen des Rolling Stone kommt, eines Magazins, dessen historische Vernachlässigung schwarzer Musik lange bekannt ist und dessen jahrzehntelange Anfeindung Jacksons insbesondere immer genannt wird.3 Durch die Überschneidungen und die Tatsache, dass Knoppers Buch nicht viel anders ist als Sullivans (wenn es sich unterscheidet, dann darin, dass es eher weniger bietet, anstatt mehr), ist schwer zu erkennen, was mit der Veröffentlichung dieses Buchs bezweckt wurde.

Eines der Probleme Knoppers ist, dass vorherige Biografen schon über das meiste dessen, was er für berichtenswert hält, geschrieben haben. Sie haben alle einschlägigen, mit Jackson in Verbindung stehenden Menschen interviewt, und es ist nicht überraschend, dass nur sehr wenige davon geneigt waren, Knopper noch einmal die gleichen Fragen zu beantworten. Aber eine „definitive“ Biografie braucht diese Stimmen. Für die Art Buch, die Knopper zu schreiben beabsichtigte, spielt es eine Rolle, dass kein einziges Mitglied aus Jacksons redseliger Familie ihm für ein Interview zur Verfügung stand. Auch nicht Jacksons jetzt volljähriger Sohn. Lisa Marie Presley, wie Knopper eingestehen muss, „lehnte es ab, Fragen über Michael Jackson zu beantworten“. Deborah Rowe sprach nicht mit ihm; und Quincy Jones ebenso wenig.4

Was macht Knopper also? Er kopiert die Texte von Interviews, die diese Personen anderen gaben. Das meiste Material aus Knoppers Quellen ist schon gedruckt. Er macht auch aus dem Material, das er wiederholt, nichts Neues. Er wiederholt ein bekanntes Repertoire von Anekdoten in vertrauter Sprache, benutzt denselben abfälligen Ton und die gleichen rücksichtslosen Denkmuster, wie es schon seit Langem für die Kritik an Jackson in den Ergüssen der kommerziellen Presse getan wird. Er sammelt alles zusammen, was irgendwer irgendwo als Zitat gesagt haben will und schmeißt alles in einen Topf, ohne jedes kritische Urteil über die Verlässlichkeit dieser Informationen. Jede Behauptung hat den gleichen Stellenwert.5 Hast du gedacht, die Aufgabe einer „definitiven“ Biografie sei es, das vom Hörensagen bekannte akkurat darzustellen, und anstatt leichtfertigen Urteilen eine sorgfältige Analyse zu bieten? Nicht in diesem Fall, hier wird es noch nicht einmal versucht.

Weil er so damit beschäftigt ist, die allgemein anerkannte Geschichte nachzuplappern, lässt Knopper nicht erkennen, was wirklich wichtig ist: Den Grips, den Mut, das Talent und die Ausdauer, die ein ausgebeuteter Kinderstar brauchte, um den Weg über die Limitierungen und Demütigungen des Chitlin Circuit hinweg zu weltweiter Anerkennung und Marktbeherrschung zu gehen; die fundierte und dennoch vollkommen eigenständige künstlerische Vision; die klare Zielsetzung; das endlose, tägliche, stündliche Üben.

Denn trotz allem perfektionierten sich diese unbeschreiblichen Tanzschritte nicht von ganz allein. Jackson strengte sich dafür an. Er „schrieb und komponierte“ seine Songs (wie er sagte) oder arbeitete mit anderen zusammen daran – ab dem Bad Album an den meisten – er überwachte die Produktion und das Marketing und kreierte die außergewöhnlichen Konzerte und Kurzfilme. Natürlich übernahm er nicht jeden Schritt in diesem Prozess selbst, aber alles war ein Werk seiner eigenen Vorstellung und unermüdlichen Anstrengung. Wurde er danach gefragt, antwortete Jackson wiederholt, dass seine Kreativität einer überrationalen Quelle entspringe, dass sie ein Geschenk Gottes sei und er lediglich ein Kanal. Aber er wäre nicht dieser Kanal gewesen ohne die ständige Fokussierung, Selbstdisziplin und Arbeit. Unglaublich viel Arbeit. „Ich möchte immer die ganze Nacht durcharbeiten“, merkte Jackson früh in seiner Karriere an, „arbeiten bis zum Umfallen.“

Diese Arbeit zu ignorieren ist, als ob man Jackson nur als „naturgegebenes“ Genie abwertet, und dabei vergisst, dass er schon einen detaillierten Karriere-Plan entwickelte, bevor er diese Karriere mit 21 Jahren begann. Jacksons Leistungen als die unausweichlichen Resultate einer „Begabung“ zu besetzen und der bewusst ausgeübten Kunst eine Absage zu erteilen, bedeutet, eine sorgfältig geformte, meisterlich und mühevoll errungene Leistung misszuverstehen. Knopper lässt es zu einfach aussehen, zu instinktiv. Und dieser durchschaubare Trick ist eine übliche Strategie von Überlegenheit. Erinnert es nicht daran, dass Afrikaner „naturbegabte“ Athleten sind, und Frauen, aber nicht Männer „instinktive“ Eltern? Gleiches Denkmuster.

Davon ausgehend ist es für Knopper einfach fortzufahren, als sei er seiner „Zielperson“ gegenüber überlegen. Er zweifelt Jackson ständig an und verunglimpft dessen persönliche Entscheidungen, die er, Knopper, rätselhaft findet. Denn er erkennt in der Tat nicht die vollen Auswirkungen des „Genies Michael Jackson“, es kommt Knopper nicht in den Sinn, dass Jackson tatsächlich sein Handeln überdacht haben könnte, oder die Gründe für seine Entscheidungen, auch persönlicher Art, zumindest teilweise in der Kunst begründet sein könnten.

Nehmen wir als Beispiel Jacksons plastische Operationen, um die immer großen Rummel gemacht wird. Seit einigen Jahren wird nun schon argumentiert, dass Jackson sein Gesicht als Leinwand zum Inszenieren ideologischer Herausforderungen und als künstlerisches Mittel eingesetzt hat.6

Die Belege dafür, dass er viel weniger kosmetische Operationen hatte als die Medien behaupten, sind jetzt an einem Wendepunkt angelangt, und sind, wie ich glaube, sehr triftig, sowie auch die Argumentation, dass Jacksons Experimente mit seinem Gesicht oft nur spielerischer und vorübergehender Art waren und nicht durch Operationen entstanden. Er liebte es, mit Kosmetik zu experimentieren und war fasziniert von den Möglichkeiten, die durch Beleuchtung und Verkleidung erzielt werden konnten – er versteckte sich oft direkt vor unseren Augen.

Auch wenn Jackson um sein Aussehen besorgt war – was auch ausreichend dokumentiert ist – ist das jedoch nicht die ganze Geschichte. Es scheint genauso klar, dass er eine komplexe Reaktion auf die ständige Kontrolle und Beurteilung abgab, eine Reaktion, die nicht nur Neurotizismus beinhaltete, sondern auch Verspieltheit und schräge Provokation im tiefsten und politischsten Sinn. Es ist nicht meine Angelegenheit (oder die eines anderen), darüber zu urteilen, ob Jacksons Verhältnis zur plastischen Chirurgie oder Kosmetik normal oder gut für ihn war – was auch immer diese Worte bedeuten mögen. Fakt ist, dass ein viel komplizierterer, viel menschlicherer, spielerischer Jackson schon immer genau dort, direkt vor unseren Augen stand.

Knopper wirft zu dem anderen Jackson nur zwei kurze Sätze ein, und sie erscheinen auch erst zehn Seiten vor dem Ende des Buchs. Er sagt: „Michael verbrachte viel Zeit seines Lebens damit, Barrieren niederzureißen, zwischen Rasse, Geschlechtern und Musik. Darunter auch psychologische Barrieren.“ Das ist alles. Die kurze Anmerkung kompensiert kaum die lebhafte Wiederholung der Gerüchte um plastische Operationen, oder das, was auf der gleichen Seite steht und von Knopper „der genaueste posthume Katalog von Michaels Gesichtsoperationen“ genannt wird – eine Auflistung nicht auf Basis des Autopsieberichts, sondern dem Allure Magazin entnommen.

Bei der Methode ist es nicht überraschend, dass Jackson hier wieder einmal als Freak herüberkommt – als ein seltsames, häufig schikaniertes, emotional hilfloses Opfer, oder ein durchtriebener Größenwahnsinniger, eitel, unbeholfen und möglicherweise kriminell. An keiner Stelle taucht Jackson als das vielseitige, widersprüchliche Mysterium, das er, so wie jeder Mensch, gewesen sein muss, auf.

Und auch nur selten wird Jackson als ernsthafter, waschechter Künstler dargestellt. Wie schon andere „definitive“ Biografen vor ihm, zeigt auch Knopper enthusiastisches Interesse an Gerüchten der Klatschpresse und bunt ausgeschmückten Erinnerungen, aber versäumt es größtenteils, sorgfältige Überlegungen zu Jacksons künstlerischen Visionen anzustellen. Es ist, als wären Visionen im Leben des Künstlers überhaupt nicht vorhanden, und dafür einfach nicht relevant. Wir erfahren hier nichts Neues über Jacksons Musik, Tanz oder Filme, sein Talent für Marketing und spektakuläre Bühnenshows, die Entwicklung des Neverland Valleys oder die öffentliche Person. Wie seine Vorgänger lässt auch Knopper Jacksons Philanthropie aus, versäumt es, sorgfältig über deren Ausdrucksweise, Motivationen und Umfang zu schreiben oder nachzudenken, und darüber, wie sie die Musik prägte und Jackson zu dem Mensch und Künstler machte, der er war.7

Songtitel und bahnbrechende Choreografie werden erwähnt, aber die Musik wird fast nie als Musik betrachtet, der Tanz nicht als Tanz. Knopper fügt eine ermüdende Schritt-für-Schritt-Beschreibung von Jacksons Motown 25 Performance von „Billie Jean“ bei, als ob die Leser nie eine Gelegenheit haben würden, sie anzusehen, aber eine Analyse schließt sich nicht an. „Remember The Time“ ist unverständlicherweise zusammengefasst mit der Phrase „weiße T-Shirt Sexyness“, obwohl es in John Singletons Kurzfilm überhaupt kein weißes T-Shirt gibt. (Denkt Knopper vielleicht an „In The Closet“, wovon ein Foto auf dem selten zu sehenden Single-Cover von „Remember The Time“ abgebildet ist? Ich habe keine Ahnung.) „Best Of Joy“ und „(I like) the Way You Love Me“ werden in einem kurzen Atemzug als „schmalzige Balladen“ verkannt, „Black or White“ läuft auf „angehäuften Irrsinn“ hinaus. Auf einer Seite werden zwei bahnbrechende Werke, „Beat It“ und „Bad“ geschwind als „gefühlsduselig“ abgeurteilt, und „Smooth Criminal“ wird spöttisch beschrieben als stattfindend in „einer Cartoonwelt, in der Menschen nicht gehen, sondern moonwalken, und nicht Treppenstufen hinunterlaufen, sondern hinübergleiten.“ „Never Can’t Say Goodbye“, ein großer Jackson 5 Hit, der so einflussreich war, dass er von Dutzenden Künstlern gecovert wurde, wird reduziert auf eine „Obskurität“, vom Estate für die Michael Jackson ONE Show 2011 herangeschleppt.8

Zwei- und Dreiwort-Kritiken wie diese sind es, die hier ständig als Musik- und- Filmkritiken durchgehen. Unter den wenigen Werken, die mehr bedacht werden, sind Dangerous und die viel diskutierte Black-Panther-Coda von „Black or White“. In beiden Fällen, sowie gelegentlich an anderen Stellen, behandelt Knopper diese Meisterstücke, in dem er aufschlussreichere Kritiken zitiert. (In dem Fall sind es Susan Fast über „Dangerous“ und Elizabeth Chin über „Black or White“.) Ausnahmsweise starke Kritiken, aber es sind nicht seine eigenen.

Vom Titel könnte man darauf schließen, dass Knoppers MJ etwas Signifikantes tun würde: Das „Genie von Michael Jackson“ zu erklären und zu beleuchten. Aber trotz seines vordergründig kühnen Einsatzes des G-Wortes, erklärt Knopper nie, was es bedeutet – es ist sogar so, dass er das Wort „Genius“ kaum noch einmal benutzt. Als Ergebnis bedeutet das Schlüsselwort im Titel gar nichts, es führt zu keiner Lösung.

Knopper nutzt den Sinn von Vertrautheit der Welt mit Jackson dazu, ihm respektvollen Abstand zu verweigern. Er bezieht sich auf das Genie immer mit dessen Vornamen, beispielsweise in einer Geste falscher Vertrautheit, welche die dem Projekt zugrunde liegende Geringschätzung enthüllt.9 Natürlich sagt Knopper nie ausdrücklich, dass er Jackson für ein Leichtgewicht oder eine belanglose Figur hält. Aber die Art, auf die er sich der Aufgabe nähert, spricht Bände – der arrogante Ton, die oberflächliche Recherche, die selbstverherrlichende Art der Anmerkungen10, die Müdigkeit, mit der die Geschichte gegen Ende erzählt wird. Knopper beendet das Buch, vielleicht passend, mit einem langen, moralisierenden und überwiegend vernichtenden Zitat eines anderen (in dem, ironischerweise, das Wort „Genius“ endlich noch einmal erscheint.) Für Jackson ist anscheinend eine weitere abgeleitete „Studie“ perfekt angemessen; unnötig, die schwere Arbeit, die es braucht, darüber nachzudenken, wer er war und was er erreichte selbst zu tun.

Wo überlegtes, kritisches Denken hätte stattfinden sollen, setzt Knoppers Feindseligkeit und moralisches Urteilen ein. Oft nimmt die Feindseligkeit unangemessene, persönliche Formen an. Jacksons Bemühungen, handlungsunfähig machende Schmerzen abzuschwächen, nennt Knoppers „Launen“. Gerüchte über die Familie Jackson und Jacksons Kinder, bereitet er in einem hochnäsigen Ton neu auf: „Mitglieder der Familie Jackson sind vielleicht die einzigen Menschen auf der Welt, die darauf bestehen, dass Michaels drei Kinder genau aussehen wie er“, erklärt Knopper herzlos (und falsch). Um seiner Empörung über die unverschämte Berichterstattung der Boulevardpresse über die Kinder Ausdruck zu geben, wiederholt Knopper deren Geschichten, und lässt sogar ein paar derer, die so lächerlich waren, dass sie sich schon totgelaufen hatten, wieder aufleben. Manchmal geht Knoppers moralistische Missbilligung nach hinten los, manchmal ist sie so kleinkariert, dass es schon lustig ist. Wenn Knopper sich beispielsweise daran gibt, Jacksons kreative Entscheidungen für HIStory im Jahr 1995 zu beurteilen, erklärt er, Jacksons Ambition „Sounds zu kreieren, die das menschliche Ohr nie zuvor gehört hat“, sei kein künstlerisches Anliegen, sondern lediglich eine Folge von Selbstüberschätzung. Wiederholt kritisiert er Jackson dafür, dass er seine Telefonate nicht während der bürgerlichen Arbeitszeiten führte: Ein Anruf an Rupert Wainwright habe zum Beispiel „um 11:45 p.m. an einem Sonntag“ stattgefunden, wie Knopper bemängelt. Der reine Horror!

Solche Dinge finden sich überall. Knopper schüttelt seinen Kopf über einen täglichen FedEx Brief zwischen Jackson und einem Soundingenieur während Aufnahmesessions, und bemerkt missbilligend, dass „die Arbeit von vier ganzen Tagen“ hinterher „genau zehn Sekunden des Albums“ ausmachten. Auch Jacksons Einsatz von „neumodischen“ Effekten macht er schlecht. Beträchtlichen Anstoß nimmt er daran, dass „Ingenieure für solche Effekte bei ‚Childhood‘ verschiedene Spieluhren und Aufnahmen von sich öffnenden und schließenden Türen gesampelt hätten.“ Anscheinend wirklich unerhört! Doch es kommt noch besser, denn diese Soundeffekte waren dann tatsächlich in einem anderen Song zu hören, nämlich in „Little Susie“. Wie sich herausstellt, ist Knoppers alberne Beanstandung auf das wackelnde, selbst errichtete Fundament seines eigenen Sachfehlers gebaut.11

Dieser ständige Sog von Herabsetzung und Missbilligung wird umso stärker, je weiter MJ fortschreitet. Knoppers Ton wird immer gereizter. Knopper – der ungerührt Beweisführung oder nuanciertes Denken erschwert – versagt zunehmend, indem er die Vermessenheit moralischer Überlegenheit mit der Tendenz zu einem schnellen und reduzierenden Urteil, mit feixenden Aufzählungen und schlüpfrigen Klatschgeschichten vermischt, die, wieder und wieder seine hochnäsige Annäherung an sein Subjekt – und an seine eigenen Leser – enthüllen.

Ein solcher Ton wäre in einer „definitiven“ Biografie nahezu eines jeden anderen großen Künstlers schockierend – man stelle sich vor, solches würde etwa dem kürzlich verstorbenen David Bowie entgegengebracht, dessen Sensibilität sich in manchen Bereichen mit Jacksons überlappt. Aber in Jacksons Fall ist Geringschätzung die Grundeinstellung, und Knopper hält es bezeichnenderweise nicht anders. Nur selten weist er darauf hin, dass es für eine Sache unterschiedliche Interpretationen geben könnte, oder fordert die Leser auf, scheinbar gegensätzliche Möglichkeiten zu umspannen.

Auf Chancen für vielschichtige Analysen, Gelegenheiten, ein chaotisch detailliertes Bild zu erkennen oder mit Einfühlungsvermögen vorzugehen – darauf wird durchweg verzichtet. Stattdessen müht sich Knopper, wie schon seine Vorgänger, damit ab, den Eindruck sorgfältiger Analysen zu erwecken. Er scheint zu denken, dass durch das Überwältigen der Leser mit überliefertem Wissen, angehäuft auf Seiten und Anhängen, Namen einzustreuen und einen Index anzuhängen, der mehr vertuscht als erklärt (es gibt dort keinen Eintrag für „Jackson, Michael“), biografische Kompetenz ausmacht. Knopper misslingt es im Großen und Ganzen selbstständig zu denken oder sich mitdenkende Leser vorzustellen.

Nehmen wir etwa den Prozess von 2005 und die auch nach Jacksons Tod 2009 weiterhin stattfindenden Prozesse und Versuche, an Geld zu kommen. Man könnte erwarten, dass Knopper, nach all den vergangenen Jahren auf originelle Art, oder zumindest mit verifizierter und überarbeiteter Information auf diese Angelegenheiten eingehen würde. Aber tatsächlich bietet er nichts, was nicht schon bei Sullivan, Taraborelli oder Halperin zu finden ist12, wobei er aber gleichzeitig nur selten seine Schuld bei diesen vorherigen Autoren anerkennt. (Ihre Bücher werden zitiert, aber nicht sehr oft). Er erwähnt nie, dass die fortlaufenden rechtlichen Streitigkeiten – darunter auch Katherine Jacksons erfolgloser Prozess gegen den Konzertveranstalter AEG, von dem erwartet wird, dass er in Berufung geht – die Wiederaufnahme von Jacksons Wohltätigkeits-Stiftung und deren Arbeit abwürgen. Aber Jacksons humanitäre Einstellung ist, wie seine Kunst und sein weltweites Vermächtnis, für Knopper nicht besonders interessant. Er möchte das Eigentumsrecht an dieser Geschichte, aber keine Erkenntnisse über den Künstler oder die Kunst. Das Fehlen von eigentlicher Interpretation könnte zum Teil einfach an mangelnder Neugierde liegen.

Während des Lesens wollte ich Knopper öfter fragen, „Warum“? Betrachten wir MJs Bericht über den Augenblick, als die TII Crew während der Proben von Jacksons Tod erfuhr. Laut Knopper (und vielen anderen vor ihm) begannen alle zu weinen, brachen zusammen, umarmten sich vor Trauer und Schock. Dann sagt Knopper (in dem er Stacy Walker zitiert), dass Choreograf Travis Payne „zu einem Tisch neben der Bühne ging und begann, zerstreut auf seinem Laptop zu schreiben.“ Was? Knopper scheint „zerstreut“ eingeworfen zu haben, aber selbst dann ist dieses Detail faszinierend. Payne, so wie jeder andere, hatte gerade von Jacksons schockierendem Tod erfahren; die Leute um ihn herum brachen zusammen; Kenny Ortega kollabierte laut Knoppers Bericht in Paynes Armen, und Payne „schleppte ihn zu einem Sitz neben der Bühne“, und war selbst vollkommen fassungslos. Ist es da nicht seltsam, dass Payne unter diesen Umständen damit begonnen haben sollte „auf seinem Laptop zu schreiben“? Bei der Frage „warum?“ geht es nicht darum, einen Schwindel anzudeuten, es geht darum, das zu überdenken, was man dir erzählt hat. Knopper tut das nie. Auch die auswendig gelernte Art der Erzählung halte ich für ein Ergebnis von Knoppers starkem Instinkt zum Selbstschutz. Knopper liebt es, Kontroversen nachzuerzählen, wenn sie Jackson betreffen, hat aber keine Lust, Beweise zu überprüfen und sachkundige Schlüsse zu ziehen, für die er selbst zur Verantwortung gezogen werden könnte.

Kommt es beispielsweise zu den Beschuldigungen von 2005, die den Prozess auslösten, und bei denen sich mittlerweile herausstellte, dass sie Teil eines Erpressungsversuchs waren, bleibt Knopper unverbindlich:

„War Michael Jackson ein Kinderschänder? Alle Beweise deuten auf Nein – obwohl das Schlafen im Bett mit Kindern, und darüber im Fernsehen zu prahlen, ihn nicht für die Celebrity Judgement Hall of Fame qualifizierte. (Anmerkung: Hall of Fame für das Urteilsvermögen Prominenter) Der Mann hatte einen fairen Prozess. Die meisten seriösen Chronisten Michael Jacksons, mit der erwähnenswerten Ausnahme von Diane Dimond, kommen mit einer ähnlichen Schlussfolgerung, wie sie Ian Halperin in Michael Jackson Unmasked abdruckte: „Ich konnte kein einziges Stückchen eines Belegs finden, der beweist, dass Michael Jackson ein Kind belästigt hat. Ganz im Gegenteil. Ich fand signifikante Beweise, die zeigen, dass es den meisten seiner Ankläger, wenn nicht allen, an jeglicher Glaubwürdigkeit fehlt.“ Mehr Beweise mögen jedoch noch kommen.“13

Anstelle von verantwortlicher Analyse fällt Knopper zurück auf sein Markenzeichen – abfälliger Ton, passiv-aggressive Unterlassung einer Erklärung, einfaches Urteilen. Er überlässt Halperin das eigentliche Reden (während er unverständlicherweise Diane Dimond zu den „seriösen Chronisten“ für den Fall zählt).14 Dann geht er hastig in Deckung. Vielleicht ist ein schneller Rückzug die sicherste Strategie für jemand, der sich in das Minenfeld an Gerichtsverfahren wagt, zu dem Jacksons Leben geworden ist, aber es ist keine sehr verantwortungsbewusste Vorgehensweise, wenn du deine Zelte als der neue „definitive Biograf“ aufschlägst.

Bei all dem ist es schwer, sich vorzustellen, welchem Zweck die mehr als 430 Seiten von MJ dienen sollen – außer natürlich, es einem weiteren weißen männlichen Mitglied der kommerziellen Medien der Musikindustrie zu ermöglichen, sich im Ruhm einer künstlerischen Leistung zu sonnen, von der er sich erlaubt, sie schlechtzumachen, ohne zu versuchen, sie zu verstehen. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass MJ in der Tat, so wie die anderen „definitiven Biografien“ über Jackson zuvor, das Muster haarsträubender Ausbeutung wiederholt und fortsetzt, die ihr Subjekt beschädigt und schließlich tötet.

Über „definitive“ Biografie als Genre und über ihre Eignung für Michael Jackson im Besonderen, habe ich noch mehr zu sagen. Aber hier sollten wir innehalten und bemerken, dass, auch wenn wir es durch Knopper nicht wissen würden, MJ Seite an Seite mit einer Menge von sehr unterschiedlichen Arten von Arbeiten erscheint. Interpretierende Werke sind seit einiger Zeit in vielen Formaten und Genres erschienen – gedruckte und elektronische Wissenschaft, Studien in Buchumfang, recherchierte Artikel, Memoiren, Blog-Einträge und so weiter – von denen die sorgfältigsten zu einer komplexen Neubewertung von Jacksons Leistungen an die Weltkultur beitragen. Diese alternative Tradition stellt uns einen wesentlich vielseitigeren Michael Jackson zur Verfügung, einen Künstler und Mensch anstatt einer Karikatur. Knopper hätte von diesem Material wissen und lernen müssen. Sonderbarerweise geht er aber die meiste Zeit vor, als würde das Internet nicht existieren, und zitiert nur sehr wenige der anerkanntesten alternativen Stimmen.15

Eine parallele Entwicklung gibt es auch bei alternativen biografischen Werken. Dabei werden Wälzer im Knopper-Stil mit Arbeiten gekontert, die nicht die „definitive“ Kompetenz für sich in Anspruch nehmen, sondern im Vergleich dazu als bescheidene (und oft nur wenig vermarktete) Produkte daher kommen.

Unter den vielen gedruckten Werken sollte man sich mit folgenden befassen: Todd Grays einfühlsames einleitendes Essay zu Michael Jackson Before He was King (2009), eine Sammlung von Grays eigenen Fotografien. (Als junger Mann fotografierte Gray die Jackson Brüder und freundete sich mit Michael an.) Nelson Georges Thriller: The Musical Life of Michael Jackson (2010), ein solides Stück Musikkritik und gleichzeitig auch ein literarischer Bericht über Georges eigene Geschichte als langzeitiger Kritiker von Jacksons Musik und Kulturgeschichte. George wählt einen für mich scheinbar exzellenten Ansatz: „Ich wollte nicht (…) über irgendwelche Aspekte aus Michaels Leben sprechen, über die ich nichts weiß“, erklärt er erfrischender Weise, „dieses ist keine Biografie.“ Und dann gibt es noch Bill Whitfield und Javon Beards Remember the Time (2014), ein Bericht aus erster Hand zweier Bodyguards von Jackson, über die Jahre, die sie für ihn arbeiteten. Ich empfehle auch My Friend Michael: An Ordinary Friendship with an Extraordinary Man (2011), ein bezaubernd unprätentiöses Buch von Jacksons langjährigem Freund und Mitarbeiter Frank Cascio.

In diesen Berichten, die alle zusammengenommen Jacksons Teenager- und Erwachsenenzeit beleuchten, haben die Autoren Erfahrungen aus erster Hand von bestimmten Abschnitten erzählt, statt den vollen Umfang abzudecken, und die Ergebnisse werden für Leser, die an Knopper und ähnliche gewöhnt sind, überraschend sein. Jackson ist eindeutig nicht die wechselweise abscheuliche oder bedauernswerte Karikatur, die man sie glauben machen wollte. Obwohl jedes Werk nur einen Teilaspekt von Jackson abdeckt, oder nur einen zeitlich begrenzten Rahmen, sehen wir ihn, wenn man alle zusammen nimmt, weitaus authentischer als in den Schriften des Mainstreams. Diese Autoren geben zu, dass die Bilder, die sie uns anbieten, nur partiell sind; sie geben das, was sie mit Integrität geben können und belassen es dabei. Von den Lesern wird erwartet, sich eigene Gedanken zu machen und Puzzleteile von verschiedenen Stellen zusammenzufügen.

Die Erfahrung, diese von mir beschriebenen alternativen Werke zu lesen, ist so, als würde man jemanden kennenlernen – durch immer mehr kleine Gesten, ungekünstelte Reaktionen und Kommentare, den Klang der Stimme, Schweigen, Gewohnheiten. Es ist eine vollkommen andere Vorgehensweise, als die endlose Wiederholung von Zeitungsenten und Schwelgerei in unverdienten Beurteilungen der „definitiven“ Biografen. Keines der alternativen Werke ist perfekt, aber jedes von ihnen ist unermesslich besser als Taraborrelli, Sullivan oder Knopper.

Es gibt einen großen Fundus solcher Quellen – Arbeiten, die von zurückhaltenden Einschätzungen, vorgegebenem Respekt und einer wirklichen Dokumentation der Beschuldigungen aus vorangehen. Bei den elektronischen Medien zeigt der Twitter Feed von Jacksons langjähriger Make-up-Künstlerin Karen Faye Respekt und Zurückhaltung und sorgt für eine erfrischende Lektüre. Als ein Fan fragte: „Wann begann MJ mit Haarverlängerungen?“ Antwortet Faye mit scharfer Zunge: „Das geht dich und auch sonst niemand etwas an.“ Sie hat sich zur Aufgabe gemacht, Einzelheiten zu beleuchten und Missverständnisse zu korrigieren, die ihr wichtig erscheinen, und sie ist stets respektvoll gegenüber Jackson und der großen Gemeinschaft der beraubten Fans, die sich täglich für verlässliche Informationen an sie wenden.

Ein weiteres Beispiel sind Thomas Mesereaus Überlegungen zu seinen Erfahrungen als Verteidiger Jacksons von 2004 bis 2005. Mesereau hat keine gedruckten Memoiren herausgebracht, spricht aber regelmäßig über seine Erfahrungen, ohne sich zu übernehmen, wie auch andere, die ich hier schon genannt habe. Er behauptet nicht, Jackson vollständig zu verstehen und scheut nicht davor zurück, eine eigene Meinung oder Interpretation abzugeben.

Gedruckte Werke wie das von Gray, George, Whitfield und Beard und Cascio teilen sich mit dem Twitter Feed von Faye und den öffentlichen Kommentaren von Mesereau, dass sie sich auf Methoden verlassen, die so anders sind als die Prozedur der „verbrannten Erde“ und „ich weiß alles“, wie sie für Biografien wie Knoppers so charakteristisch sind. Ihre zwar begrenzten, aber bodenständigen Berichte versuchen nicht das Unmögliche und bieten dadurch viel. Durch Werke wie diese – die nicht vorherbestimmt oder vorverdaut sind, nicht enzyklopädisch, die nicht behaupten, die einzige Wahrheit zu kennen – stellt sich heraus, dass Jackson so viel mehr war, als Knopper sich vorzustellen vermag. Zum einen stellt sich heraus, dass er ein Leben lang ein gläubiger Mensch war. Glaubensvorstellungen formten seine Handlungen, brachten ihn dazu, ein aktiver Verteidiger der Entrechteten zu werden, insbesondere von Kindern und der Umwelt. Er verschrieb sich auch liberal humanistischen Werten und hoffnungsvollen kulturellen Vorstellungen (Selbsthilfe, der angeborene Optimismus, Belohnungen, die mit harter Arbeit und fairem Handeln automatisch einhergehen). Jacksons Vertrauen in seine sich selbst unterstützenden Vorstellungen bekam natürlich herbe Schläge und unterzog sich über 50 Jahre hindurch wichtigen Überarbeitungen, aber er blieb bis zuletzt ein hart Arbeitender, ein Gebender und ein Glaubender. Man muss nicht genau seinen Glauben und seine Werte teilen, um ihn dafür zu respektieren, dass er sein ganzes Leben hindurch daran festhielt und sich entsprechend verhielt. Knopper vermittelt uns keinen Eindruck der charakterfesten Persönlichkeit, die in weniger anmaßenden Berichten offenbart wird.

In den Alternativen, die ich erwähnte, gibt es auch eine große Übereinstimmung in einem wesentlichen Punkt, bei dem Knopper gut daran getan hätte, diesen zu bedenken: Dass Jackson ein Künstler von enormer Originalität, immensem Können und Einfluss war, der es verdient, mit der Sorgfalt und dem Respekt behandelt zu werden, den man großen Künstlern gewöhnlich entgegenbringt – das heißt, mit dem Fokus entschieden auf der künstlerischen Leistung, basierend auf dem jeweiligen Leben. Jacksons Erfahrungen können nicht von seiner Kunst getrennt werden, und andersherum. Es ist alles eins. Jacksons Getriebenheit, seine multivalente Nichtkonformität, seine ungewöhnliche, ausgelassene Vorstellungskraft, seine Schwachpunkte, Obsessionen und Sehnsüchte, seine beschwingte Ausgelassenheit, Ambivalenz und Stellen von Unwissenheit, seine Großzügigkeit, sein Idealismus, seine Neugierde, Verschlossenheit, Leidenschaft, Ängste, sein Glaube, Optimismus, Misstrauen, seine Verblüffung und seine Isolation – nichts davon kann ohne sein Werk verstanden werden, und alles ist Teil davon.

Diese Erkenntnis steht dem Ausgangspunkt Knoppers entgegen. Tatsächlich folgt Knopper genau dem Model der Unterteilung, das Tanner Colby 2014 kritisierte:

Wir packen „Billie Jean“ und „Thriller“ in eine Schachtel, und sein persönliches Leben in eine andere Schachtel, und geben unser Bestes, nicht zu viel darüber nachzudenken. (…) Aber man muss den Menschen unter den Mythen und Missinformationen, die sich über Jahrzehnte angehäuft haben, ausgraben.16

Knopper möchte nichts ausgraben. Das Ergebnis ist die gleiche alte Biografie, die die Kunst vernebelt, das Publikum verletzt und den Künstler entwürdigt.

Knopper hält durchgehend einen überheblichen Ton gegenüber Jackson bei. Nehmen wir beispielsweise Knoppers Reaktion auf eine Szene, als Will Vinton angeblich Jacksons Wohnräume besuchte.

„Vinton konnte nicht umhin, die Bilder von Kindern zu bemerken (…) die an der Wand seines Schlafzimmers aufgereiht waren“, informiert uns Knopper schelmisch.

„Weißt du Michael, viele Leute würden das nicht verstehen“, sagte er (Vinton). Aber Michael blieb ungerührt: „Ich liebe Kinder einfach. Ich glaube, Kinder sind wunderbar und sie machen mich glücklich.“ Vinton hielt sich zurück. Er glaubte der Vorstellung, dass Michael ein exzentrischer Einsiedler sei, der die Idee aufgreife, Kinder seien eine Art unschuldige Rettungsboote, die ihm dabei helfen könnten, durch die Welt zu navigieren. Es war leicht, Michael den Vertrauensbonus zu geben.“

Verschiedene Dinge sind hierbei charakteristisch. Beachtet zum einen, wie Knopper emsig bestrebt ist, sich selbst abzusichern. Vielleicht kommt er sich ein wenig dumm dabei vor, Jacksons Anständigkeit direkt anzugreifen, bei all dem, was jetzt als lange Historie von erfundenen Beschuldigungen, tatkräftigen Untersuchungen und ultimativer Entlastung bekannt ist – und nachdem sowohl Sullivan und Halperin gesagt hatten, sie hätten mit den Recherchen für ihre Biografien begonnen, im Glauben an Jacksons Schuld und damit geendet, von seiner Unschuld überzeugt zu sein.17 Deshalb unterlässt es Knopper, direkt zu sagen, dass Jackson etwas anderes als „unschuldig“ und „exzentrisch“ war, bewerkstelligt dabei aber, mit Gewandtheit und Andeutungen Misstrauen indirekt zu übermitteln. Vinton wird zum Platzhalter gemacht, für jeden Leser, der sich bei all diesen dezenten Anstupsern unbehaglich fühlt. Knopper impliziert, dass sowohl die Leser, als auch Vinton es zu einfach finden, „Michael den Vertrauensbonus zu geben“ – nur Knopper weiß es besser. Unter Berücksichtigung der Menge an Beweisen, die wir mittlerweile haben, ist der logischste Schluss genau der, den Jackson in seiner Anekdote anbietet: Er vertraute Kindern und idealisierte sie und er genoss ihre Gesellschaft, oder brauchte sie sogar. Ist das ungewöhnlich? – Ja. Ist das kriminell? – Nein.

Das ausgedachte Zitieren von Jackson ist bei Knopper auch charakteristisch – ohne darüber nachzudenken, lässt er Jackson bauchreden – wie auch die Ähnlichkeit, mit der Knoppers Ton dem der Boulevard-Medien zwischen dem ersten Erpressungsversuch (1993) und dem Prozess von 2005 klingt. Das ist bemerkenswert, denn in dieser Zeitspanne war weitaus weniger öffentlich zugängliches Beweismaterial, darüber, dass Jackson in den gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen unschuldig war, vorhanden. Heute gibt es gute Gründe zu glauben, dass „Ich liebe Kinder einfach“ tatsächlich auch ein wahrheitsgetreues Statement war, und weniger Gründe als je zuvor, dass ein Chronist Andeutungen in andere Richtung macht. Warum plappert Knopper dann den Ton der unseriösen Boulevard-Medien von vor über einem Jahrzehnt nach? Weil er es will. Diese Entscheidung sagt letztlich nichts über Jackson, aber sie sagt ziemlich viel über Knoppers Absichten mit diesem Buch.18 Vielleicht ist es noch verstörender, dass Knopper sich durchaus dessen bewusst ist, dass die Erkenntnisse, wie sie sich jetzt basierend auf allen Beweisen darstellen, der Wahrheit entsprechen: Dass Jackson, sein ganzes Leben lang unaufhörlich belagert, beurteilt und ausgebeutet, in Kindern tatsächlich ein „unschuldiges Rettungsboot fand, das ihm half sich durch die Welt zu navigieren“. Es ist beunruhigend zu hören, wie Knopper es ganz deutlich sagt, nur um dann wieder Zweifel an Jacksons Anständigkeit zu säen.

An der Stelle muss Knopper einiges tun, um Jackson schlecht aussehen zu lassen, und er muss Vinton (und denkende Leser) bei diesem Vorgehen beleidigen, aber er schafft all das. Am Ende ist es doch nur zum finanziellen Vorteil des „definitiven“ Biografen, die Möglichkeit lebendig zu halten, dass fürchterliche Verbrechen doch noch ans Licht kommen werden. Wenn Knopper damit fertig ist, ist es so, als hätte es nie einen weltweit öffentlich publizierten Prozess gegeben, in dessen Verlauf Jackson vollends entlastet und seine Ankläger als Gauner entlarvt wurden. Ich habe die Gerichtsmitschriften gelesen, du kannst es auch und Knopper hätte es genauso gekonnt.

Aus Gründen, auf die ich gleich noch eingehen werde, glaube ich nicht, dass dieses Buch immer nur schädlich sein konnte, aber es hätte zumindest interessanter sein können. Vielleicht wäre es Knopper mit sich selbst nicht so langweilig geworden, hätte er bemerkt, in welchem Ausmaß Jacksons Kunst auch ein Politikum war. Es ist weniger bedeutend, dass Jackson auf Nachrichtenkonferenzen mit seinem Schimpansen erschien, als dass seine Musik sich an Gruppen richtete, die zuvor als Publikum und Bürger getrennt wurden. Jacksons kulturelle Beidhändigkeit war eine Kunstform in sich, und sie war (und bleibt) eine politische Kraft. Er sprach den Dialekt vieler Klassen, Rassen und Geschlechter, verbal, musikalisch und visuell. Er bewegte sich mit übernatürlicher Anmut durch einen noch nie da gewesenen Reichtum an Körpersprache und gestenreichem Vokabular, Stimm-Klangfarbe, Körperhaltung und Kleidungsstil.

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Jacksons Werk, inklusive seiner bewusst rätselhaften Erscheinung, fordert eine duale Denkweise.

Greg Gormans Foto, von Jackson als Hommage an ein Foto von Gloria Swanson, 1924 von Edward Steichen aufgenommen. Sony Music lehnte diese Bild für das Cover von Bad ab.

Diese kulturell multivalente Fertigkeit, inklusive seiner bewusst rätselhaften Erscheinung, ist eine der wichtigsten Arten, auf die Jacksons Werk duale Denkweisen herausfordert. Jacksons Kunst offenbart (und triumphiert darin, sie aufzuzeigen) destabilisierende Überschneidungen unter sich vermeintlich ausschließenden Möglichkeiten – Vergangenheit und Gegenwart, Jugend und Alter, weiblich und männlich, Jung und Alt, spirituell und materiell, Wut und Liebe, Kunst und Kommerz, Freude und Schmerz. Sein Werk verkompliziert grundsätzlich die reduzierenden Kategorien, die als Wirklichkeit gelten. Das ist eine Art, auf die Jackson eine historisch besondere postmoderne Sensibilität verkörpert.

Vielleicht hätte Knopper sich (und uns) bei der Stange halten können, wenn er über Jacksons bewusstes Verfechten der Idee, dass es viele verschiedene Arten gibt, zu wissen – nicht zu lernen, sondern zu wissen – nachgedacht hätte.19 Für Jackson war die Erfahrung an sich eine künstlerische Übung. Kunst war zugleich ein sinnliches Vergnügen, eine Erkenntnistheorie, ein spirituelles Erwachen und eine politische Einmischung. Diese Überzeugungen und Praktiken sind die Wurzel von Jacksons Kreativität und Macht.

Ich bin nicht angetreten, um Jacksons Kunstgeschmack zu verteidigen. Ich teile nicht seinen Hang zu Schlock (Ramsch) und ich glaube, dass seine Bemühungen als Autodidakt niemals eine formelle Bildung, die ihm verwehrt war, ersetzen konnte. (Allerdings bin ich Lehrerin, und muss das natürlich so sehen.) Worauf ich hinaus will ist, dass seine Neigung zu Kitsch und Sentimentalität oft aus einem größeren Kontext herausgelöst wurden, der viel genauer erklärt hätte, wie seine Vorstellungskraft arbeitete.20 Und er hatte nachweislich einen wesentlich größeren Sinn für Humor, als in den Mainstream-Medien anerkannt wird. Traditionell sind es Jacksons Kritiker, die todernst und humorlos sind, und nicht Jackson selbst.

Ich sage auch, Jackson war nicht ausnahmslos hochsinnig (wer ist das schon?) oder ständig in Kontrolle der Effekte, die er hervorrief (eine unmögliche Erwartung an jemand, dessen Werke über Jahrzehnte quer durch alle Kulturen begeistert konsumiert wurden und werden). Was ich aber deutlich machen will ist, dass Jackson ein anspruchsvoller, gut informierter Denker war – „Denker“ ist tatsächlich aber ein zu limitierter Ausdruck, für die vielfältigen Arten des Wissens, die er anwandte – und ein bewusster, sehr ursprünglicher Schöpfer.

Ich kritisiere Knoppers unermüdliche anderweitige Folgerungen und seinen vorgegebenen, verurteilenden Ton, weil ich denke, beides ist in der eigenen beschränkten Vorstellungskraft und den Vorurteilen des Biografen verwurzelt. Er scheint unfähig, Ideen anders betrachten zu können, als diejenigen aus der privilegierten, eng begrenzten Bruderschaft der Biografen, zu denen er sich gesellen möchte.

Meines Erachtens gibt es für die Leichtigkeit, mit der Knopper sich selbst das Recht zugesteht, über Jackson zu urteilen, verschiedene Gründe. Zum einen scheint reich und berühmt zu sein, eine erhöhte Gallensaftproduktion bei den Journalisten des Establishments und deren Lesern aus der Mittelschicht auszulösen, und Jackson, der in sehr einfache Verhältnisse hineingeboren wurde, machte sich dermaßen reich und berühmt, wie man es nur werden kann – zu seinem Leidwesen, auch ist Jackson erst vor Kurzem verstorben und fühlt sich für viele von uns noch wie ein Zeitgenosse an – manche Menschen weigern sich, ihre eigenen Zeitgenossen zu respektieren. Und wie ich schon erwähnte, könnte man Jackson einfach in das Klischee eines „lediglich“ populären Künstlers pressen. Die subtil implizierte Verunglimpfung des Populären, wie sie sich eindeutig durch das ganze (Buch) MJ hindurchzieht, ist eine faszinierende und enthüllende Ironie, die es wert ist innezuhalten und darüber nachzudenken.

Natürlich war Jackson ohne Frage ein populärer Entertainer. Er wusste alles darüber, wie Popmusik funktioniert und schenkte der Welt einige der erfolgreichsten und einflussreichsten populären Songs aller Zeiten. Aber das ist kein Grund, seine Leistungen abzuwerten – ganz besonders dann nicht, sollte man glauben, wenn du ein Redakteur des Rolling Stone bist, eines Magazins, das von sich behauptet, über Pop-Kultur zu berichten (und diese gleichzeitig sehr eng definiert). Diese Herabsetzung des Populären, inklusive der Fans, wie sie sich durch ganz MJ hindurchzieht, entlarvt Knopper im Grunde als ästhetischen Traditionalisten, wenn nicht sogar einen Snob. Ich denke, das ist kein geeigneter Blickwinkel, aus dem heraus Michael Jackson lesbar wird.

Vielmehr macht Jackson es nötig, dass traditionelle Denker wie Knopper die Wertigkeit des „Populären“ gänzlich neu überdenken. In Jacksons Werk kamen zahlreiche kulturelle Formen zusammen, aus allen Teilen der Welt. Er nahm alles auf, was er lernte, ohne Rücksicht auf „hoch“ oder „niedrig“. Was daraus entstand, war eine so umfassende künstlerische Leistung, dass sie ständig alle Kategorien sprengt, die über sie gestülpt werden.

Musikalisch war Jacksons Werk nicht nur von R&B, Soul, Disco, Gospel und dem „Motown Sound“ durchzogen, wie immer angemerkt wird, sondern auch von „klassischer“ (z. B. europäischer) Musik (besonders aus dem 19. Jahrhundert, er nannte immer Debussy, Tschaikowsky, Beethoven und andere), Jazz, Hip-Hop, New Jack Swing, Kinder- und Wiegenliedern, Spoken-word performance (Sprechdarbietung), afrikanischen Musikstilen und mehr. In den Tanz übernahm er viele historische, regionale und ethnische Traditionen auf, darunter Stepptanz, Gesellschaftstanz, Swing, Disco, Funk und Streetdance sowie Pantomime. Jackson war auch ein begabter bildender Künstler, beeinflusst von der Tradition europäischer und amerikanischer Plastik und Malerei, sowie ein begeisterter Fotograf und Innovator des Films. Sein Wissen über Musical, Theater und Film war enzyklopädisch, es umfasste nicht nur Handlung, Regisseure und Schauspieler, sondern auch kompositorische Entscheidungen, Inszenierung, Beleuchtung, Erzähl-Aufbau und die Funktion von Spezialeffekten.

No One Moves Like Michael Jackson – Best Dancer Ever

Wenn Jackson tanzte, wurde die Geschichte des amerikanischen Tanzes des 20. Jahrhunderts vor unseren Augen sichtbar.

Außerdem beherrschte Jackson schon als Teenager die Grundsätze der Musikproduktion. Er entwickelte ein komplexes Verständnis von Tontechnik, Musikrechten und Eigentum, Massenmarketing, Komposition, Choreografie, Bühnentechnik und Touren sowie Videoaufzeichnungen. Er führte Klangexperimente durch, die jetzt noch ihrer Zeit voraus sind. Schon als junger Erwachsener managte er hunderte Angestellte. Er suchte Lehrer verschiedener Glaubensrichtungen auf, und blieb doch sein Leben lang dem Glauben der Zeugen Jehova und des christlichen Glaubens gegenüber treu. Er las ständig, war wissbegierig und veröffentlichte eigene Gedichte und Prosa. Frank Sinatra nannte ihn „den einzigen männlichen Sänger, der besser ist, als ich“. Fred Astaire sagte: „Ich möchte nicht von dieser Welt gehen, ohne zu wissen, wer mein Nachfahre sein wird. Danke Michael.“ Also ist der Fakt, dass Jackson eine Pop-Figur war, eine teilweise, aber dennoch unvollständige Grundlage zur Erklärung dafür, dass die Auseinandersetzung mit einem Künstler, der so viel erreicht hat, in der sensationslüsternen Gerüchteküche stecken geblieben ist.

Ich glaube, dass der Sog dieser vorauseilenden Verunglimpfung, die Werke wie Knoppers antreibt, nicht nur dem Genre des Snobismus zuzuschreiben sind. Auch Rassismus ist Teil davon – nicht nur im Tonfall der „definitiven“ biografischen Erzählung, sondern als tatsächlich existierend. Es ist schwer vorstellbar, dass irgendjemand anderem, außer einem weißen, männlichen Mitglied der korporativen Presse der Vereinigten Staaten, die Mittel gewährt worden wären, ein so unnützes Buch wie dieses zu produzieren und zu vermarkten, oder den weltweit einflussreichsten Künstler einer ganzen Generation in so anmaßender Art zu beschreiben.21

Knopper ist gegenüber dem Rassismus, den Jackson während seines Lebens erfuhr, nicht blind. Er zitiert die Beobachtung von Jesse Jackson, dass die für Michael Jackson angesetzte Kaution, „mehr als dreimal so hoch war (…) als für den weißen, unter Mordverdacht stehenden Phil Specter“, und Rick James’ Beobachtung, dass Elvis Presley niemals angeklagt wurde, obwohl viele glaubten, er habe „mit seiner Frau Priscilla geschlafen, als sie 14 oder 15 Jahre alt war.“ Knopper erwähnt diese Vergleiche, aber tut das wie immer nicht mit seiner eigenen Stimme: Jesse Jackson und Rick James müssen dafür einstehen und die jeweiligen Worte sagen. Und selbst dann übertönt Knopper ihre kurz zu hörenden Stimmen mit seinem einheitlichen Tenor und seinem omnipräsenten Thema: Jacksons unabwendbarer, vollständiger und verdienter Ruin.22

Jackson war und ist ein Blitzableiter für Rassismus und nicht nur, weil er schwarz war, sondern auch, weil er für viele, die über ihren eigenen Stand in der rassischen Hierarchie besorgt waren, „weiß zu werden“ schien.23 Das war der wirkliche und unverzeihliche Cross-over-Act.

Fakt ist natürlich, dass Jackson nie „weiß wurde“. Seine Haut verlor allmählich die Pigmentierung, und „Weiß“, was immer das sein soll, ist kein unpigmentierter Zustand – das ist ein alter rassistischer Begriff. Jackson litt seit seiner Jugend an Vitiligo, einer Krankheit, die dafür bekannt ist, auf Stress zu reagieren, wie auch der systemische Lupus erythematodes, unter dem er ebenfalls litt. Beide Krankheiten lassen die Haut sehr sonnenempfindlich werden. Wie Jackson mit dieser Situation umging, war seine Sache.24 Es sei jedoch bemerkt, dass Nachdunkeln, Aufhellen und Abdecken normale Reaktionen bei Menschen, die an Vitiligo leiden, sind.

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Vitiligo 

Bedeutend ist nicht, wie Jackson mit Lupus und Vitiligo umging, sondern in welchem Ausmaß seine sich verändernde Haut Unbehagen und Aggression unter „weißen“ Menschen auslöste. Bei dieser Reaktion geht es wieder einmal nicht primär um Jackson. Stattdessen ist sie ein Hinweis auf die hervorgerufene Angst wann immer jemand – insbesondere eine weltweit bewunderte Pop-Ikone – die rassischen Fiktionen, inklusive der sich ständig wandelnden Fiktion von „Weißsein“, die die Gesellschaftshierarchien am Leben hält, Lügen straft.

Angesichts all dieser Tatsachen kann man sich wirklich fragen: Warum war Knopper ausreichend interessiert an Jackson, um ein solches Buch überhaupt herauszuhauen? Woher mag seine Motivation gekommen sein? Laut der Seite mit den Danksagungen, repräsentiert dieses Buch eine Recherche über drei Jahre (nebenbei bemerkt, genau der Zeitraum, zwischen dem Erscheinen von Sullivans Untouchable und Knoppers MJ). Liest man zwischen den Zeilen, dann scheint es, dass das Vorhaben beträchtliches Klinkenputzen und zwei Literaturagenten erforderte, bevor Scribner schließlich anbiss. Warum hat Knopper es weiterverfolgt, und warum hat Scribner es publiziert?

Ich würde andeuten, dass die Antwort mit zwei Wörtern ausgedrückt werden kann: böse Absicht. Dieses Buch würde es nicht geben, wenn nicht Autor und Verleger geglaubt hätten, dass es sich verkaufen würde, egal, ob es etwas Wertvolles vermittelt oder nicht. Für Knopper und Scribner macht es nichts aus, dass MJ versagt – nachdem er einmal seinen Platz als „definitiver“ Biograf Jacksons in Anspruch genommen hat, wird es sich garantiert auszahlen. Jackson verbleibt erstaunlich vermarktbar – Knopper/Scribner können sich einer ansehnlichen Menge Käufer sicher sein. Knopper nutzt auch seine Verbindung zu Unterhaltungsmagazinen aus, die Sorte Medien, die Jackson am meisten beunruhigten.“Warum erzählen sie den Leuten nicht einfach, ich bin ein Alien vom Mars?“ soll Jackson verärgert gefragt haben. „Sag ihnen, ich esse lebendige Hühner und halte um Mitternacht einen Voodoo-Tanz ab. Sie werden alles glauben, was du sagst, weil du ein Reporter bist.“25

Darauf zählt Knopper. Sein Buch MJ ist lediglich der letzte Beweis für die traurige Bestätigung der Aussage des The Guardian kurz nach Jacksons Tod: „Der König ist tot! Lang lebe der Profit!“26 Knopper und Scribner folgen einem 50 Jahre zuvor eingeführten Manuskript, als ein atemberaubend begabtes Kind ausgenutzt, überredet und unter Druck gesetzt wurde, Ernährer für eine große Familie zu werden, den Schlaf in der Schule nachholen musste und sich vergeblich unter Möbeln versteckte, um der unermüdlichen Arbeit zu entkommen (fünf Auftritte pro Nacht, sechs, und manchmal sieben Tage die Woche). Er verhandelte mit erwachsener Verantwortlichkeit, während er sich täglich einem Grad an Öffentlichkeit ausgesetzt sah, den er, wie er später bemerkte, beängstigend fand. Das Muster setzte sich über Jahre fort, als eine Armee von Verwandten und „Freunden“, Managern und Leuten von Plattenfirmen, Anwälten, Ärzten, Beratern, Händlern, Angestellten und selbst ernannten Beschützern ungeniert von dem absahnten, was Zack O’Malley Greenburg Michael Jackson Inc. genannt hat. Paparazzi ernährten sich gut von den Eingriffen in sein Privatleben, Medienleute bauten ihre Karrieren auf die Unterminierung seines Rechts auf die Unschuldsvermutung.

Mit 50 Jahren wurde er zu einer Vereinbarung über 50 Konzerte überredet – Berater überzeugten ihn davon, dass der anstrengende Terminplan die einzige Möglichkeit sei, dass seine finanzielle Lage sich wieder erholen würde, obwohl sich das Vermögen jetzt ohne eine einzige live Performance mehr als erholt hat – während deren Proben er durch die Hand eines korrupten, profitsüchtigen Arztes starb, der inzwischen für das Verbrechen bestraft wurde.

Jacksons Leben und Karriere summiert sich auf weitaus mehr als diese trostlose Zusammenfassung von Misshandlungen und Entmenschlichung; dennoch war er unwiderruflich verletzt, sein Werk und Leben durch erbarmungslose, omnipräsente Ausnutzung verkürzt. Dieses Vorgehen wird in Knoppers Buch fortgesetzt, das, obwohl es nicht zum besseren Verständnis von Michael Jacksons Leben und Werk beiträgt, dennoch schon seinen Zweck erfüllt hat: Das Genie einmal mehr für den Profit anderer zu Geld zu machen. Ferner wird Knopper jetzt, da er die bekannte Geschichte wiederholt hat, als Experte angesehen, weil man annimmt, dass er es ist. Er hat sich selbst eine Art Besitz über Michael Jackson zugesprochen.

Die böse Absicht, die dieses Buch vorantrieb, setzt sich über das Buch hinaus fort. Ich glaube, „böse Absicht“ ist ein Kennzeichen des gesamten Genres der „definitiven Biografie“ und nicht nur in diesem Fall. Knoppers MJ ist enttäuschend, aber eine nicht enttäuschende, in der gleichen Art geschriebene Biografie von Jackson, mit den gleichen erklärten Vorsätzen – „Definitiv!“ „Vollständig!“ „Die ganze Geschichte!“ – ist nicht vorstellbar. Das Vorhaben an sich ist eine Lüge. Daher sind Taraborrelli, Sullivan und Knopper sich alle so ähnlich, und alle sind sie unzulänglich.

Auch wenn ein besserer Autor auftauchen würde, einer, der, anders als Knopper, Jacksons Kunst schätzt und eher das Verstehen als einen Anteil an einer profitablen Mythologie anstrebt, wäre eine definitive Biografie immer noch unmöglich. Warum? Weil Jackson eine wahrlich unfassbare Person war. Das ist ein Punkt, in dem alle, die ihm nahe waren, übereinstimmen (Familienmitglieder, Frauen, enge Kollegen, lebenslängliche Freunde). Es ist nicht möglich, Jackson auf ein paar Hundert Seiten zu beschreiben – oder ein paar Tausend. Das „definitive“ Vorhaben muss seinem nicht reduzierbaren kakofonischen, widersprüchlichen, exzessiven, unbegreiflichen Subjekt Gewalt antun.

Und es ist nicht nur Jackson, der ein nicht zu akzeptierendes Subjekt für die Ansprüche eines „definitiven“ Biografen ist. Jeder ist exzessiv. Weil er so versiert, so anders, vielfältig und künstlerisch unerschrocken war, macht Jacksons Fall den Umfang und Zynismus von „definitiver Biografie“ nur allzu deutlich; aber der nicht zu reduzierende, nicht zu korrigierende Umfangreichtum, den Jackson präsentiert, ist nicht nur für ihn spezifisch.

Halte ich „definitive Biografie“ per se für unmöglich und nicht wünschenswert? Ja. Das Unterfangen ist ein Problem in sich. Hast du dich einmal dazu aufgemacht, eine „definitive Biografie“ zu schreiben, hast du dich schon den Voraussetzungen verschrieben, die gegen Nachdenken und Empathie stehen, und auch gegen Aufrichtigkeit. MJ macht diese Voraussetzungen sichtbar – stößt uns sogar mit der Nase darauf – und unterminiert in dem Prozess nicht nur seine eigenen Ansprüche, sondern auch die Ansprüche dieser Schreibart, für die es als Beispiel steht. Das könnte sich tatsächlich als größter Wert dieses Buches herausstellen.

Warum ist das wichtig? Weil eine der Voraussetzungen des Projekts „definitive Biografie“ darin besteht, dass sie auf eine unausgesprochene Vereinbarung aller Mitspieler (Autor, Publizist, Leser) bauen kann, die Reduzierung einer herrlich unlesbaren Person zu einem marktfähigen Produkt zu akzeptieren – in eine begrenzte, unzweideutige Sache, frei verfügbar zur Inbesitznahme. Die Voraussetzung ihrerseits hilft dabei, die überzeugenden und politisch interessanten Lügen darüber, was Menschen sind (absolut lesbar, in vollem Umfang zu kennen und zuverlässig zu beurteilen) und wozu sie gebraucht werden (zum Nutzen derer, die urteilen), zu unterstützen. Das sind die gleichen Lügen, die Ungerechtigkeit vorantreiben und aufrechterhalten.

1993 teilte Jackson Oprah Winfrey seine Auffassung darüber mit, wie der Boulevardjournalismus an seine Storys kommt: „Jemand denkt es sich aus und jeder glaubt es“, sagte er schlicht. „Wenn du eine Lüge oft genug hörst, fängst du an, sie zu glauben.“ Jacksons Erfahrungen bestätigten diese Einsichten bestimmt, aber es geht um noch mehr. Jedes Mal, wenn diese üblichen Lügen über Jackson wiederholt werden, wird noch etwas anderes als diese spezifische Lüge zu monströsem Leben erweckt. Es wird auch eine zugrundeliegende Agenda seitens der Kulturkräfte und Akteure des Mainstreams erweckt (oder wiedererweckt), die Jackson, als er noch lebte, als Bedrohung empfanden. Diese Gruppe ist daran interessiert, Populärkultur, Außenseiterleben und andere Weltanschauungen abzuwerten, und sie haben schon immer versucht, Michael Jackson abzuwerten, eine der kraftvollsten Verkörperungen all dessen. Knoppers Werk reanimiert diese Agenda, in dem es den Lesern erlaubt, sich einen außergewöhnlichen Künstler und komplizierten Mann lediglich als ein Strichmännchen in einer Moralgeschichte vorzustellen. Es spielt keine Rolle, ob der „definitive“ Jackson als „magisch“ und „verrückt“ (Taraborrelli), „seltsam“ und „tragisch“ (Sullivan), oder als etwas Unspezifisches, genannt „Genius“ (Knopper) bezeichnet wird. Es ist alles dasselbe – nicht weil diese Bezeichnungen dasselbe bedeuten, sondern weil sie dasselbe tun: endgültige Beurteilung, ordentliche Kategorisierung, Ablehnung. Auf diese Art wird ein großer Künstler kolonialisiert, aus den gleichen Gründen wie bei der Kolonisation: Profit und Machterhaltung der ohnehin schon Mächtigen.

Jackson arbeitete zu hart und erreichte zu viel und brachte zu vielen Menschen zu viel Freude – er war einfach zu viel – um auf diese Weise reduziert zu werden. Er hat etwas Besseres verdient, wie auch jeder, der wirklich etwas von ihm erfahren möchte. Ich denke, aufmerksame Leser wissen das bereits und misstrauen Projekten wie dem von Knopper. In der Tat gehen mittlerweile viele Leser grundsätzlich zynisch an Schriften über Michael Jackson, in der Annahme, es könnte sich um einen weiteren Versuch von Selbstinszenierung und Ausbeutung handeln. So ein standardmäßiger Zynismus ist verständlich – Werke wie Knoppers bestätigen ihn sicherlich – aber dadurch kann es auch vorkommen, andere Arten von Arbeiten über Jackson zu verpassen, solche Arbeiten, die, wie ich schon anmerkte, den Dialog sicherlich verändern.

Natürlich ist nicht alles, was außerhalb von „definitiven“ Biografien über Jackson gesprochen und geschrieben wird, eine wirkliche Alternative. Weit entfernt. Vieles, was als Analyse von Jackson durchgeht, ist genauso selbstsüchtig und ausbeuterisch wie Knoppers Buch, manches sogar noch schlimmer. Einige der lautesten Bewunderer Jacksons, gehen mitunter tatsächlich von Vermutungen aus, die sich nicht sehr von denen unterscheiden, die Hater und Parasiten auf den Plan rufen, lediglich unter Umkehrung der Begriffe. Wenn sie gänzlich unkritisch über Michaels übermenschliche Kräfte und gottgleiche Fähigkeiten schwärmen, blicken Jacksons Bewunderer in die Rückseite von Knoppers Spiegel, und finden dort, wie Knopper, auch nur eine Reflexion ihrer selbst. Michael-Anbetung ist genauso wenig eine Lösung, wie reflexartige Anfeindung und Verunglimpfung.

Verantwortungsvollere und aufschlussreichere Studien über Michael Jackson reduzieren ihn nicht wahlweise zu einem Helden oder Verbrecher. Die vielversprechendsten Ansätze versuchen nicht, Jacksons Besonderheiten (im weitesten Sinne dessen, was dieses Wort alles umfasst) zu besitzen, zu verleugnen oder verstandesmäßig zu erklären, und so unterschiedlich sie auch sein mögen, haben sie eines gemeinsam, sie haben sich bewusst gegen die Angewohnheit, einfache Urteile zu fällen, entschieden. Herausgebracht auf unterschiedlichen Plattformen (nicht nur als gedruckte Werke), widerstehen sie dem Impuls, den endgültigen Schlüssel zu Jacksons Geheimnis zu finden und zu vermarkten, in der Erkenntnis, dass genau dieser Impuls das Problem ist. Diejenigen, die es anders angehen, neigen auch dazu, wie ich schon erwähnte, ihre Ziele und Fähigkeiten vergleichsweise bescheiden zu beschreiben: Sie stellen sich selbst nicht als Experten hin, die maßgeblich frühere Experten übertrumpfen, sondern als Stimmen in einer Konversation, die sich konstant weiterentwickelt, sich konstant ausweitet. Sie suchen ein vollständigeres Verständnis des Michael Jackson, der schon so lange von „definitiven“ Behandlungen und öffentlichem Journalismus verdunkelt wurde: Eine wunderbare Verschmelzung von Intellekt, Instinkt, Imagination, Schönheit, Anmut, Skandal, Irrtümern und Herz. Ein menschliches Wesen.

Solche Arbeiten gibt es schon, und fast täglich erscheinen mehr. Sie sind im Begriff, das zu tun, was Knopper nicht kann: Sie lehren uns, Michael Jacksons strahlendes Geheimnis zu würdigen – diesen Überfluss in ihm, den man nicht besitzen oder definieren kann – ohne vorzutäuschen, es ganz zu verstehen und ohne es zu bloßer Verrücktheit abzuwerten. Niemand kannte Michael Jackson, und es wird ihn nie jemand kennen.27 Aber wir werden ihn nicht ehrlicher, produktiver und respektvoller kennenlernen, wenn Knopper und seinesgleichen denken, dass wir es könnten. In diesem Sinn ist Knoppers MJ, obwohl ambitioniert in seiner Art, dennoch nicht ambitioniert genug. Knoppers Jackson, sein Verständnis dessen, was Jackson uns gab und seine Vision dessen, was wir noch immer von Jackson brauchen, ist einfach zu gering. Es ist Zeit für etwas anderes.

Es ist üblich, am Ende einer negativen Review zu erklären, dass wir immer noch ein Werk brauchen, das das bezweckt, was das zur Diskussion stehende hätte bezwecken sollen – in diesem Fall, wäre das eine verlässliche, standardisierende, „definitive“ Biografie über Michael Jackson. Ich hoffe deutlich gemacht zu haben, warum ich das nicht sagen werde. Aber hier, was ich stattdessen sagen möchte: Lasst uns Knoppers MJ zum letzten Buch dieser Art machen, was Michael Jackson angetan wurde. Wir brauchten dieses Buch nicht, und wir brauchen keine weiteren von dieser Sorte, denn die gleiche Herangehensweise kann nur wieder das gleiche Ergebnis bringen.

Was wir jedoch brauchen, sind die bescheidenen, auf Nachweisen beruhenden, gedenkenden Arbeiten und mehr durchdachte Studien, die Jacksons Kunst in den Mittelpunkt stellen. Wir brauchen Studien über Jackson, die das Verständnis seiner Kunst als Teil der Geschichte suchen – sowohl seiner persönlichen Geschichte, als auch deiner und meiner Geschichte und der gesamten Geschichte des späten 20. Jahrhunderts und des frühen 21. Jahrhunderts. Jackson ist von Bedeutung und wird es auch weiterhin bleiben, denn sein Werk wurde zu einem entscheidenden, prägenden Teil der Geschichte so vieler. Er ist besonders momentan, im Augenblick nationalen Notstands von Bedeutung, wo wir darauf bestehen müssen, dass „Black Lives Matter“ (Schwarze Leben zählen). Jacksons Werk besser zu verstehen – sorgsamer, respektvoller, niemals vollständig – ist ein Weg, uns selbst und andere besser zu verstehen.

Wir brauchen mehr Studien über Jackson, die nicht davor zurückscheuen, andere Blickwinkel als die in den Mainstream-Medien gültigen einzunehmen. Jackson-Studierende, besonders etablierte WissenschaftlerInnen und in der Öffentlichkeit anerkannte Intellektuelle (die in ihrem Fach professioneller sind als freie Journalisten wie Knopper) müssen Vorreiter sein, in der konsequenten Praxis, ihrem Subjekt gegenüber aufrichtig zu sein. Wir müssen ihn mit der gleichen Hochachtung behandeln, die wir normalerweise großen Künstlern entgegenbringen, und nicht mit Arroganz oder der Annahme einer Überlegenheit, oder dem Wunsch, ihn zu besitzen. Wir brauchen Schriftstücke, die nicht zu selbstverliebt sind, um die politische, moralische und, wie ich zu behaupten wage, auch die spirituelle Signifikanz dieses Pop-Stars zu feiern. Wir brauchen Arbeiten, die Jacksons glühende Freude anzapfen und uns daran erinnern, warum er vielen immer noch so viel bedeutet. Jackson war ein mutiger, innovativer Künstler, und er verdient mutige, innovative Kritiker.

Deshalb: Caveat emptor. (Anmerkung: Lat. möge der Käufer sich in Acht nehmen) Anstatt Zeit und Geld an MJ: The Genius of Michael Jackson, zu verschwenden, könnte man vielleicht lieber etwas tun, was mehr Spaß macht und lohnenswert ist: Sich Jacksons Musik genau anhören. Du kannst mit den Solo-Alben von Off The Wall bis Invincible beginnen (die Remixe auf Blood on the Dancefloor kannst du überspringen), dann zurückgehen zu der schwungvoll-melancholischen Stimme eines seltsam-alten Kindes in Aufnahmen wie „Ben“, „I’ll Be There“ und „Music and Me“. Aber nicht nur die wunderschönen, hör dir auch „Santa Claus is Coming to Town“ an, – eine Lehrstunde über die verzweifelte, perfekt klingende Stimme eines kleinen Jungen, dem es nicht erlaubt war, Weihnachten zu feiern – und „ABC“ oder „Sugar Daddy“, Lieder, die verkörpern, was am Stardom eines Kindes falsch ist, trotz all dem Glanz. Dann könnte man überlegen, Jacksons eigene Bücher, Moonwalk und Dancing The Dream zu lesen, oder der Rede zuhören, die er an der Oxford Universität hielt, oder seiner Tirade gegen Sony Music, die sich zu einer Verteidigungsrede schwarzer Musik entwickelte, oder seinen Interviews und Aussagen vor Gericht. Seht euch Jacksons landesweit ausgestrahlten Appell für einen fairen Prozess an, während die Boulevardmedien dabei waren, die öffentliche Meinung plattzuwalzen, oder das Rebuttal-Video, das er als Antwort auf Martin Bashirs Angriff filmte. Dann gibt es Nachtisch: Tauche in die Kurzfilme und in so viele Konzertvideos ein, wie du nur finden kannst und habe keine Angst davor, zu tanzen.

„Es ist nicht meine Aufgabe, zu urteilen“, bemerkte Jackson, „und es ist auch nicht deine.“ Lasst uns damit aufhören, über Michael Jackson Vermutungen anzustellen und zu urteilen, und so zu tun, als könnten wir ihn verstehen. Letztlich wird es kein Problem sein, dass wir ihn nie kennen und definieren werden, sondern ein Grund zum Feiern. Wir bekommen viel mehr: Die Chance, immer und immer wieder von ihm überrascht und inspiriert zu werden.


(Mit Dank an Willa Stillwater für redaktionelle Unterstützung)

Quellenangaben und Fußnoten hier ausklappen
  1. Sullivan, Untouchable: The Strange Life and Tragic Death of Michael Jackson (Grove Press, 2012); Taraborrelli, Michael Jackson: The Magic, The Madness, The Whole Story, 1958–2009 (formerly Michael Jackson: The Magic and the Madness) (New York: Hachette, 1991, 2009). ↩︎
  2. Appetite for Self-Destruction: The Spectacular Crash of the Record Industry in the Digital Age (Soft Skull Press, 2009). ↩︎
  3. Siehe Joseph Vogel The Misunderstood Power of Michael Jackson’s Music“ The Atlantic Feb. 8, 2012.
    (Deutsch: Die missverstandene Macht von Michael Jacksons Musik – Joe Vogel)
    und D. B. Anderson und Willa Stillwater, „The Selling Out of Rock ’n’ Roll – Say What?“ Dancing with the Elephant, Nov 19, 2015.
    (Deutsch: Der Ausverkauf des Rock ’n’ Roll – wie bitte?) ↩︎
  4. Es scheint, als hätten die Anwälte John Branca und Thomas Mesereau mit Knopper gesprochen, aber seltsamerweise scheinen sie nichts gesagt zu haben, was nicht schon zuvor woanders zitiert wurde. Andere direkte Interviews, die Knoppers selbst führen konnte, sind meist welche mit weniger wichtigen Personen: mit untergeordneten Angestellten von Aufnahmestudios von Jahrzehnten zuvor, einem Angestellten des R-Country Market in Los Olivos, Kalifornien (wo Jackson gelegentlich einkaufte), einer unbedeutenden Korrespondentin von MTV, die meinte, Jacksons Haut kam ihr „sehr seltsam“ vor. Falls Knopper wirklich, wie er sagte, „etwa 450 Quellen“ für MJ befragte, macht er sehr wenig Gebrauch davon. ↩︎
  5. Ich fand nur einen Moment des Zweifelns, als Knopper zugab „Ich habe keinen Grund, ihr nicht zu glauben [seiner Quelle] […] außer, dass manche Leute dazu neigen, sich selbst mit in die Geschichte von Michael Jackson einzuschreiben.“ Diese Einsicht hat keine wahrnehmbare Auswirkung darauf, wie Knopper weiter vorangeht (er scheint es augenblicklich wieder zu vergessen), aber mir klang es über die restlichen 400 Seiten in den Ohren nach. ↩︎
  6. Siehe z. B. Michael Awkward, Negotiating Difference: Race, Gender, and the Politics of Positionality. Chicago: University of Chicago Press, 1995; Harriet Manning, Michael Jackson and the Blackface Mask. Farnham: Ashgate, 2013; Willa Stillwater, M Poetica: Michael Jackson’s Art of Connection and Defiance. Kindle, 2011, und Monsters, Witches, and Michael Jackson’s Ghosts.“ Popular Musicology Online, 2014.
    Deutsch: Monster, Hexen und Michael Jackson’s Ghosts ↩︎
  7. Seit der humanitären Glanzzeit Jacksons, ist die Spenden-Kultur zunehmend raffinierter, um nicht zu sagen zynischer geworden. Aber Jacksons humanitäre Arbeit war zu seinen Lebzeiten folgenreich und inspirierend und bleibt es in vielen Teilen der Welt bis heute. Ein Beispiel für die andauernde Bedeutung von Jacksons Bemühungen, „die Welt zu heilen“ (Heal the World) ist der kürzlich gegenüber dem Rolling Stone abgegebene Kommentar des äthiopisch-kanadischen Musikers Abel Tesfayes (a.k.a. The Weeknd): „Die Leute vergessen, dass We Are The World für Äthiopien ist“, beobachtet Tesfaye. „Gab es zu Hause keine äthiopische Musik, dann gab es Michael. Er war eine Ikone für uns.“ (Josh Eells, „Sex, Drugs and R&B: Inside the Weeknd’s Dark Twisted Fantasy“, Rolling Stone, Issue 1247 [November 5, 2015] p.42.) ↩︎
  8. Von Clifton Davis’ „Never Can Say Goodbye“ gibt es unter anderem Coverversionen von Gloria Gaynor, The Communards, Isaac Hayes, Andy Williams, The Supremes, Smokey Robinson, Herbie Mann, Yazz, Sheena Easton, David Benoit und Vanessa Williams. Es war zu hören in Happy Feet (2006) und Soul Men (2008). Die Coverversion der Communards ist Titelsong der britischen TV-Komödie Vicious. Das ist, was Knopper sich unter einer „Obskurität“ vorstellt. ↩︎
  9. Es gibt viele unterschiedliche Interessen für die nahezu universale Neigung, Michael Jackson bei seinem Vornamen zu nennen, und der Gebrauch davon wirkt auf unterschiedliche Arten. Nicht jeder Gebrauch von „Michael“ ist anmaßend oder ideologisch suspekt, viele jedoch schon – darunter auch Knoppers. Vergleicht dazu Jacksons Bestreben, Respekt zu zeigen, in seiner Reaktion auf „Just Lose It“, wo er Marshall Mathers „Mr. Eminem“ nennt. ↩︎
  10. Knopper hilft sich damit, sich selbst zu zitieren. Mehr als einmal behauptet er, Quellen hätten in einem Interview mit dem Autor eine Aussage gemacht, die aber schon lange im Internet gefunden werden kann, manchmal sogar wortwörtlich. ↩︎
  11. Lisa Marie Presley hatte, als sie und Jackson heirateten, nicht drei Kinder. „Blanket“ (jetzt Bigi) Jacksons Haare waren niemals blond. Der „monkey room“ (Affenzimmer) in den Westlake Studios ist nicht groß genug für ein Doppelbett. Und so weiter. ↩︎
  12. Ian Halperin, Unmasked: The Final Years of Michael Jackson (Transit Media, 2009). ↩︎
  13. Knopper erwähnt kurz die Schadensersatzklage gegen das Estate, die jetzt von zwei Männern eingereicht wurde, die unter Eid schworen, dass Jackson sich nichts hatte zuschulden kommen lassen, und jetzt behaupten, sich an einen Missbrauch erinnern zu können; er zitiert nur die Anwälte der Kläger. Außer diesem dezenten Falschspiel gibt Knopper keine weiteren Informationen. Das Gleiche passiert durch sein Nichtkommentieren auch an anderer Stelle (darunter auch ein kleiner fieser Schlag gegen „die Fans“, die immer ein sicheres Ziel sind), wo es um die Sammelklage geht, die momentan gegen Sony wegen der nach Jacksons Tod veröffentlichten Aufnahmen eingereicht wurde. (Der Musik-Gigant wurde angeklagt, an frisierten Aufnahmen profitiert zu haben, von denen in betrügerischer Absicht behauptet wurde, es sei Jacksons Stimme.) Auch zu dieser Kontroverse bezieht Knopper keine Stellung. ↩︎
  14. Wikipedia zitiert Burt Kearns, ein ehemaliger Produzent von Hard Copy, der sagt: „Während des Prozess […], benahm sich Diane mehr wie ein Staatsanwalt, wie ein Reporter […] Sie war ein Clown im Zirkus […] Ihr Verhalten im Fall Jackson beendet mit Sicherheit ihre Hoffnungen, jemals wieder als Journalistin ernst genommen zu werden.“ Court TV feuerte Dimond nach Jacksons Freispruch. ↩︎
  15. In englischer Sprache gibt es z. B. die sehr unterschiedlichen Arbeiten von D. B. Anderson, Elizabeth Amisu, Michael Eric Dyson, John Nguyet Erni, Nina Fonoroff, Marjorie Garber, Judith Hamera, Margo Jefferson, Aphrodite Jones, Lisha McDuff, Charles Martin, Sylvia Martin, Karin Merx, Christopher Smit (und einige der Artikel, die er in Michael Jackson: Grasping the Spectacle, 2012, editierte), Charles Thomson, Armond White, und Susan Woodward. Das ist eine unvollständige Liste, die nicht die Namen enthält, die an anderer Stelle in dieser Review erwähnt werden. Siehe auch Spike Lees neue Dokumentation Michael Jackson from Motown to Off the Wall. ↩︎
  16. Tanner Colby, „The Radical Notion of Michael Jackson’s Humanity“, Slate.com, 24. Juni 2014. Colby plädiert wortgewandt für eine mitfühlendere Annäherung an Jackson, aber versagt darin, die Behauptung der Mainstream-Medien, die Autorität über die Geschichte des Künstlers zu besitzen, zu hinterfragen. Die Sicht des Establishments ist für Colby die reale Sichtweise. „Im besten Fall betrauerten wir den frühreifen, jugendlichen, noch-braunen Jungen, der so ein tragischer, gebrochener Mann werden würde“, erinnert er sich an die Tage nach Jacksons Tod. „Wir trauerten nicht um den Menschen.“ Diese Beobachtung trifft nur für die professionellen Trauernden der versammelten Presse zu („wir“, „uns“). Millionen, für Colby unsichtbare Personen, „trauerten um den Menschen.“ (ohne ihn dabei zwangsläufig, nach Art der Medien-Erzählungen, als „tragisch“ und „gebrochen“ anzusehen), und trauern auch noch immer um ihn. ↩︎
  17. Vergleiche Colby: „Als ich damit begann, mich ausgiebig damit zu beschäftigen, hat mich nur überrascht, dass die Beschuldigungen haltlos waren, sondern auch, dass sie so offensichtlich haltlos waren.“ […] [Sie] sind schon lange als falsch bewiesen, aber sie wurden noch nicht von einer zwingenderen Wahrheit ersetzt.“ ↩︎
  18. In verkaufsfördernden Interviews für MJ, verkündete Knopper manchmal Jacksons Unschuld in den höchsten Tönen. Siehe z. B. ein Interview mit John Wenzel von The Denver Post vom 15. Oktober 2015, wo Knopper angibt: „Ich hatte nicht erwartet, so vollends von seiner Unschuld in den Vorwürfen der Kindesbelästigung überzeugt zu werden.“ In MJ klingt er ganz anders — wesentlich vorsichtiger, andeutender und feindlicher — und dieser Unterschied ist aufschlussreich. ↩︎
  19. Siehe z. B. Laura Maguires podcast, „Dance as a Way of Knowing“, bei Philosophy Talk; Mark Harris, Ways of Knowing: New Approaches in the Anthropology of Knowledge and Learning (New York: Berghahn, 2007); Howard Gardner, Frames of Mind: The Theory of Multiple Intelligences (New York: Basic Books, 1983). Jacksons Dancing the Dream (1992) hätte für Knopper als Quelle dienen können, um etwas über Jacksons viele unterschiedliche Arten des Wissens zu erfahren, darunter Musik und Tanz, das Verhältnis zur Natur, Stille und Fasten, und der Sensibilität für das Leben der Vergangenheit, das sich in der Gegenwart fortsetzt. Diese Arten des Wissens ersetzen nicht den Verstand, aber sie existieren nebeneinander und sind gleich bedeutend. ↩︎
  20. Wir haben überraschend detaillierte Unterlagen darüber, was Jackson sammelte, ansah, las und hörte. Eine Quelle stammt von 2009, als sein mobiler Besitz von Julien’s Auctions in Beverly Hills, Kalifornien, für einen kurzfristigen Verkauf katalogisiert wurde. Die Auktion fand nie statt, aber der (sehr überteuerte) Katalog ist vorhanden. Das wenige, das ich daraus gesehen habe, deutet darauf hin, dass Jackson sowohl anspruchsvolle Arbeiten schätzte (wie sie konventionell definiert werden), als auch fantasievollere. ↩︎
  21. Vergleiche z. B. Peter Guralnicks Arbeiten über Elvis Presley und Sam Phillips. Der Respekt, der wissenschaftliche Anspruch und die Sorgfalt, die Guralnick seinem Werk entgegenbringt, unterscheidet es völlig von der Sorte „definitiver“ Biografien über Jackson. In dem oben zitierten Interview mit der Denver Post, vergleicht Knopper sein Buch mit dem von Guralnick. ↩︎
  22. Siehe Knoppers wertende (und faktisch falsche) Einschätzung auf S. 364-65; sie versinnbildlicht Knoppers moralistische Annäherung an Jackson. ↩︎
  23. Siehe z. B. The New Yorkers verräterisch betitelten Artikel „The Pale King: Michael Jackson’s ambiguous legacy,“ von Bill Wyman (Dez. 24, 2012). „Jackson wurde zum weltweit größten schwarzen Star“, können wir dort lesen, „in dem er konventionelle Bilder des Schwarzseins ablegte.“ — Ein „Ablegen“, das erstaunlicherweise durch die Breite der Nase, der Hautfarbe und die Abwesenheit der hypersexualisierten Persönlichkeit in ihm gezeigt wird. Als er anlässlich Sullivans Biografie schrieb, wiederholte Wyman die schlimmsten Exzesse („ein Gesicht, das keine Nase hatte“ z. B.) Und wie Sullivan, gibt auch er unnötige Beurteilungen von Dingen ab, über die er nichts wissen kann („Jacksons Ehe mit Presley war nur ein PR-Stunt“). Am meisten ist er über Jacksons Gender und rassische Doppeldeutigkeit beunruhigt und erklärt z. B. kategorisch, ohne jede Basis, dass die älteren beiden Kinder „weiß“ seien. Jackson selbst, so schließt Wyman ganz unbefangen, „endete als ein Schatten.“ „Alles, was er wirklich hinterließ, waren eine uneindeutige Legacy und ein befleckter Name“, vererbt an „ein paar reiche, weiße Kinder.“ ↩︎
  24. Reichliche fotografische Beweise und zahlreiche Augenzeugenberichte, darunter auch von Karen Faye, die über 25 Jahre lang als Jacksons Make-up-Artistin arbeitete, haben gezeigt, dass Jackson die immer mehr werdenden weißen Flecken mit dunklem Make-up abdeckte; erkennbar schwarz zu bleiben war wichtig für ihn. Erst als es zu viel helle Hautstellen gab, die abgedeckt werden mussten, entschied er sich, helles Make-up zu benutzen, und den Pigmentverlust der verbleibenden dunklen Haut chemisch zu beschleunigen. „Er wollte nicht gefleckt sein“, sagte Katherine Jackson. Trotz Jacksons Bemühungen, es abzudecken und zu verhüllen, gibt es genügend Fotos, die die fortschreitenden Schäden durch Vitiligo auf seiner Haut zeigen. Die Tatsache, dass sowohl Vitiligo als auch Lupus ein hohes Hautkrebsrisiko bergen, erklärt die Gewohnheit Jacksons, Sonnenbrillen, Hüte, langärmelige Kleidung, Handschuhe, Armbinden und mehrere Lagen Kleidung zu tragen sowie zum Schutz vor der kalifornischen Sonne in seinem späteren Leben Schirme zu benutzen. ↩︎
  25. Taraborrelli S. 570. ↩︎
  26. Casper Llewellyn Smith, The Guardian, August 2, 2009. ↩︎
  27. Vergleiche George: „The ‘meaning’ of Michael Jackson isn’t owned by anyone“ (Thriller, 13). mit dem glatten Titel des achtseitigen Newsweek „special“ vom 13. Juli 2009: „The Meaning of Michael.“ ↩︎

Toni Bowers ist Professorin für britische Literatur an der Universität von Pennsylvania. Sie lebt in Philadelphia.


Übersetzung: M.v.d. Linden, Korrekturen: Ilke


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