In diesem Kapitel wird analysiert, wie Michael Jackson in seinem Albumcover und in seinen Songs verschiedene Kunst- und Musikstile miteinander verbindet, um eine starke spirituelle Botschaft zu vermitteln. Das Albumcover von Mark Ryden, das Elemente der Renaissance-Kunst und des Surrealismus enthält, spiegelt Jacksons künstlerische Vision wider. Die Songs „Who Is It“, „Give In to Me“ und „Will You Be There“ zeigen Jacksons Ringen mit religiösen und spirituellen Ideen sowie seine Suche nach Gemeinschaft und Erlösung. Durch die Verbindung von Rock, Gospel und klassischer Musik erweitert Jackson die Grenzen der Popmusik und drückt seine Sehnsucht nach einer höheren Macht aus.
Mein Ziel im Leben ist es, der Welt zu geben, was ich glücklicherweise empfangen habe: Die Wonne der göttlichen Verbindung durch meine Musik und meinen Tanz. Es ist wie meine Bestimmung, deswegen bin ich hier. Michael Jackson
In der nordeuropäischen Kunst des 15. Jahrhunderts war das Polyptychon (Wandelaltar) ein Gemälde bestehend aus mehreren Tafeln, das hauptsächlich als Altarbild in einer Kirche oder einer Kathedrale diente; diese (Kunst-)Form wurde als ein Höhepunkt der christlichen Kunst betrachtet. Unter den berühmtesten Stücken befindet sich der Genter Altar von Hubert und Jan van Eyck, Das jüngste Gericht von Hans Memling, Das Polyptychon der Schutzmantelmadonna von Piero della Francesca und Hieronymus Boschs Der Garten der Lüste. Mark Rydens Gemälde für das Albumcover von Dangerous – entworfen unter Jacksons Mitwirkung1 – macht Anleihen bei dieser Tradition der sakralen Kunst. Das Gemälde ist ein Triptychon mit drei „Tafeln“, das im 15. Jahrhundert aus Holz gefertigt worden und zusammenklappbar gewesen wäre. Normalerweise zeigt das Triptychon einen Heiligen oder Christus auf der mittleren Tafel, die seitlichen Tafeln umfassten Heilige, die mit der zentralen Figur in Verbindung standen. Man kann diese dreiteilige Anordnung in Rydens Gemälde (mit den offensichtlichen Zuordnungen) erkennen: Jackson, im Zentrum, wird flankiert von Dog King (Hundekönig), inspiriert von dem 1806 entstandenen Gemälde von Napoleon von Auguste Dominique Ingres2 und Bird Queen (Vogelkönigin), entstanden nach einer ähnlichen Figur bei Bosch.
Viele weitere Elemente wurden durch Bosch beeinflusst, dessen Werk aber nicht ein solches Triumvirat enthält. Es soll von rechts nach links gelesen werden, beginnend im Paradies und in der Hölle endend, mit jeder Menge Menschen in verschiedenen Stadien des Leidens. Rydens Darstellung ist nicht so geradlinig – die leidenden Menschen, Körperteile und Skelette, die fein säuberlich in Boschs Szenario der „Hölle“ eingeordnet sind, findet man in Rydens Gemälde überall verteilt. Weder wird Verstümmelung als Teil des Leidens angesehen (Jacksons steinerne Hand – gut erkennbar aufgrund ihrer mit Pflaster versehenen Finger – stützt liebevoll ein Kind, während in der verletzten Hand bei Bosch ein Messer steckt), noch der Tod selbst, wie wir durch den Grimassen schneidenden Totenschädel glauben gemacht werden sollen, der von einem Kind gehalten wird und den Überbleibseln von Skeletten ausgestorbener Tiere, die die Leichtigkeit einer Karussellfahrt genießen.
Das ist so, weil die andere Kunsttradition, die dieses Gemälde anzeigt, die des Surrealismus ist. Geboren aus der Tatsache, Zeuge „des Schocks der traumatisierten Psyche“ des Ersten Weltkrieges gewesen zu sein, erschufen die Surrealisten Kunst, die auf die „(traumartige) Desorientierung“ anspielte, wie sie von Führern der Bewegung wie André Breton bezeugt werden konnte.3 Für Breton war der Surrealismus eine künstlerische Ausdrucksform, in der „Leben und Tod, das Wirkliche und das Eingebildete, die Vergangenheit und die Zukunft, das Vermittelbare und das Nicht-auszudrückende, die Höhen und die Tiefen nicht weiter als widersprüchlich wahrgenommen werden.“4 Dies ist ganz genau das, was Ryden in seinem Gemälde einfängt. Er bringt Kategorien durch die dargestellten Figuren zum Einsturz: lebend, tot, unsterblich (kleine Kinder in Form von Engeln), menschlich, nicht-menschlich und ausgestorbene Tiere, jung, alt, historisch, gegenwärtig, zukünftig, Jackson (heute und damals, in den Thriller-Jahren und als Kind), fiktional, nicht fiktional, der Übergang von lebendigen zu nicht lebendigen Dingen (die Hände, die zu dem Thron am oberen Bildrand gehören), Einzelteile (Jacksons Hand, der Totenschädel), Mischformen (der menschliche Fuß von Dog King). Das Geschlecht des Kindes, das den Schädel hält, ist nicht eindeutig: Ist es ein kleiner Junge oder ein Mädchen? All dies Verwischte spielt sich innerhalb der vollkommen symmetrischen Struktur des Triptychons ab, einem Aufbau, der uns zurück in die Binarität einlädt und uns erlaubt, einen Sinn im Chaos zu entdecken: männlich und weiblich (Dog King und Bird Queen), glücklich und traurig (die Clowns, die sich auf jeder Seite zu Jacksons Augen niedergelassen haben, da sind auch Abbildungen von glücklichen und unglücklichen Affen auf jeder Seite des Gemäldes), sie erscheinen in einer Vergnügungsbahn fahrend unterhalb des Jolly-Rogers-Zeichens und verlassen das Bild wieder unter dem allsehenden Auge. Diese letzte „Zweiteiligkeit“ ist etwas knifflig: Könnte es sein, dass diese Symbole das Weltliche und das Heilige bedeuten oder darstellen sollen? Die Abbildung des Auges taucht an vielen anderen Stellen in Jacksons Werken auf – im HIStory Teaser und in der Gestaltung des Covers des Invincible Albums.5 Das Hervorheben von Jacksons eigenen Augen auf dem Dangerous Cover verbindet ihn mit diesem sakralen Symbol. Es sieht so aus, als würde man diese Fahrt in der einen Form beginnen und in einer anderen beenden: Ein Skelett, das Kind Michael, ein Michael Jackson Fan. Ob dies erstrebenswert ist oder geradezu unheimlich ist eine Frage der Interpretation.
Die reichhaltige Bildsprache in diesem Gemälde kann sicherlich auf viele Arten gelesen werden. Es ist das komplexeste von Jacksons Album Covers und dazu eins der komplexesten in der Geschichte der Popmusik, eher in einer Reihe mit Coverkunst in der Richtung „ernsthafter“ Rock- als Pop-Tradition. Man fragt sich, ob es auf das Sgt. Pepper Album Cover der Beatles mit seiner Vielzahl von dargestellten Personen und mehreren Abbildungen der Beatles selbst Bezug nimmt. Da gibt es die Anspielung auf den Zirkus – P.T. Barnum erscheint vorn in der Mitte mit Tom Thumb auf dessen Kopf stehend – vielleicht als Wink auf Jacksons zirkusartiges Image in der Öffentlichkeit, aber auch auf die allgemein bekannte Geschichte, dass Jackson Barnums Ideen über die Erschaffung der „größten Show auf Erden“ als Leitfaden für seine eigene Karriere berücksichtigte. Die Fülle an Tierfiguren lassen einen unweigerlich an die Erzählung von Noahs Arche denken, auch wenn sie nicht paarweise erscheinen. Aber natürlich ist das wirklich fesselnde Bild das von Jackson selbst. Es wird von Dangerous an keine einfachen Fotografien mehr von ihm auf seinen Albumcovers geben; indexikalische oder „echte“ Darstellungen von ihm gehören der Vergangenheit an, ersetzt durch Kunst, die ihn zunehmend als vom Menschlichen entfernt wiedergibt, zunehmend als mythische Gestalt (er ist eine Statue auf dem Cover von HIStory und zum Teil ein digital erschaffenes Bild auf Invincible). Ryden macht aus ihm einen Robotermenschen (sieh dir das Bild aus der Entfernung an), einzig bestehend aus seinen durchdringenden, intensiven, verführerischen Augen – mit einem Blick vergleichbar dem beobachtenden Moment beim „Panther Dance“, als er wissend in die Kamera blickt – und seiner Jheri Curl, die beibehalten wurde, um uns wissen zu lassen, dass er es ist. Die Mitte des Gesichtes, da wo seine Nase gewesen sein sollte, wird von Tieren und kleinen goldenen Engeln eingenommen, eine überschwängliche und wundervolle Anspielung auf jenen Teil seines Körpers, der fortwährend unter so großer Beobachtung stand. Sein klaffender Mund, komplett mit aus Statuen gemachten Reißzähnen, offenbart eine Fabrik, aus der Gleise hinein- und herausführen, die Zunge, die die Produkte der Fabrik ausliefert. Wie sowohl Joe Vogel, als auch Willa Stillwater feststellen, repräsentiert die Fabrik das „Innenleben“, obwohl jeder von ihnen dies auf eine andere Weise interpretiert. Meine Ansicht ist, dass das Innenleben das Private repräsentiert, indem das Bild mit der zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten bestehenden Spannung verbunden wird, die man durch das ganze Album hindurch finden kann; das metallische Grau der Fabrik steht im Kontrast zu der überschwänglichen Farbe des „Außenbereichs“, mit der Absicht, dies als kalt, distanziert und vielleicht sogar als bedrohlich wirken zu lassen. Wie Stillwater bemerkt, ist der Titel des Albums DANGEROUS direkt oberhalb der Abbildung der Fabrik geschrieben. Dieses Bild spielt vage auf Fritz Langs Film Metropolis und dessen Schrecken des Klassenkampfes zwischen wohlhabenden Industriellen und der (Sklaven-) Arbeit an, auf die ihre Stadt gebaut ist. Die kalte, dunkle, graue, metallische, zweckmäßige Abbildung der Fabrik deutet den geräuschvollen, industriellen Klang großer Teile der Aufnahmen an, der Zerrüttung der Welt, die im Zentrum des Bildes platziert ist, eine Zerrüttung herbeigeführt von den Unterdrückten oder Unterworfenen, einschließlich, natürlich, Jackson selbst. Es ist wenig überraschend, dass die Entstehung dieser Welt durch Jacksons Kehle herbeigeführt wird – aus dem kraftvollen Instrument, mit dem er seine Ideen öffentlich macht.
Während ich über dieses Gemälde nachsinne, fühle ich mich auch an Donna Haraways einflussreiches „Cyborg Manifesto“ („Ein Manifest für Cyborgs“) erinnert, da sie über das Überschreiten von Grenzziehungen zwischen Tieren – oder Organismen – und Maschinen, zwischen Menschen und Tieren spricht; sogar unter Berufung auf die Quantenphysik, zwischen dem Physikalischen und Nicht-Physikalischen als einer Realität unserer gegenwärtigen Existenz, ebenso sehr eine Tatsache in unserer Welt (durch den technologischen und medizinischen Fortschritt) wie es auch eine Science Fiction Fantasie sein könnte. Das in diesem Zusammenhang aber wirklich Wichtige an ihrer Theorie ist, dass die Vision der Surrealisten, zumindest teilweise, wahr wird: Diese Grenzüberschreitungen haben die Einteilungen zwischen natürlich und künstlich, Geist und Körper, „selbst entwickelt und von außen konzipiert“ abgeschafft, wie Haraway es ausdrückt. Und, was am wichtigsten ist, sie betont, dass die Grenzüberschreitungen uns enger zusammen bringen, dass sie „auf beunruhigende und vergnügliche Art eine feste Kopplung mit anderen signalisieren“ – allen Arten des Anderen.6 In diesem Sinn fängt Rydens Gemälde auf wundervolle Art die Essenz dessen ein, was ich Jacksons Weltsicht nennen würde, von dem so vieles mit den unterschiedlichen Arten von Verwandtschaft zusammenhängt. Ich gehe sogar so weit, es eine Theologie zu nennen (es ist kein Zufall, dass eine Form – das Triptychon der Renaissance -, die so eng mit dem Sakralen verknüpft ist, dazu benutzt wird, Rydens surrealistische Vision zu realisieren). Die alles umspannende Thematik in Jacksons Kunst und Leben ist das, was oft als sein „Überschreiten“ der genormten Grenzen gesehen wird – nicht nur die offensichtlichsten wie Rasse und Geschlechterzugehörigkeit – sondern die von Generation, körperlicher Beschaffenheit, Einteilungen zwischen den Arten („real“ und erfunden), künstlerischen Genres und Technologien. Jackson bewegte sich so fließend zwischen Performance-Traditionen und Subjektivitäten, dass er produktiv gesehen durch die Linse des Posthumanismus (neu) durchdacht werden könnte, in dem Sinn, dass die Vorstellungen liberaler Humanisten über das individuelle, einheitliche, unveränderliche Selbst mit der eindeutigen Ziehung von Grenzen zwischen dem Menschlichen und Nicht-Menschlichen, zwischen Spezies und Technologien infrage gestellt werden. Cary Wolfe schreibt, dass wir Menschen als „grundsätzlich prothetische Wesen“ anerkennen müssen, „die sich mit verschiedenen Formen von Technizität und Materialitäten coevolutionär entwickelt haben, Formen, die grundlegend ‚nicht-menschlich‘ sind und doch dessen ungeachtet das Menschliche zu dem gemacht haben, was es heute ist“7, und Jackson hat darauf durchgängig und anschaulich aufmerksam gemacht, ja, diese prothetische Vorstellung des Menschlichen auf besondere Arten sogar zelebriert. Durch seine plastischen Operationen, sich verändernde Hautfarbe (heller und dunkler werdend), Mehrdeutigkeit in Hinsicht Geschlechter- / Generationszugehörigkeit (herbeigeführt teils durch Operationen, teils durch die Wahl von Mode und Make-up, teils durch Stimme und Gestik), durch all seine erfundenen Transformationen – Werwolf, Zombie, Panther, sogar als Raumschiff in Moonwalker – gab er seinen Körper nicht nur als ständig in Arbeit befindlich, vollkommen offen und vertrauensvoll gegenüber grenzenlosem Experimentieren, sondern als Teil eines größeren Ganzen.
Es gibt eine ziemlich lange Tradition bei Künstlern, die sich körperlichen Veränderungen als einer Art und Weise verpflichtet haben, um die Grenzen ihres Körpers auszutesten: Unter den berühmtesten befindet sich Stelarc, dessen Projekte Ear on Arm (Ohr auf Arm) beinhaltet, einem zusätzlichen Ohr, das chirurgisch auf seinem Unterarm konstruiert wurde, dem Bemühen zur „Vergrößerung der Körperformen und -funktionen.“8 Oder Orlan, einer französischen Künstlerin, die in The Reincarnation of Saint-Orlan (Die Reinkarnation der Heiligen Orlan) plastische Chirurgie benutzt hat (neunmal, um genau zu sein, von 1990 bis 95), um ihr Gesicht nach den Abbildern berühmter Gemälde von Frauen, wie sie von männlichen Künstlern idealisiert wurden, nachzubilden: Es war als eine feministische Kritik an der Geschichte der Kunst beabsichtigt, innerhalb derer Frauen lange Zeit „auf der Empfängerseite dem männlichen starrenden Blick („male gaze“) ausgesetzt waren“.9 Orlans vielleicht bekannteste Operation besteht aus zwei kleinen Hörnern, die auf ihrer Stirn implantiert sind, nur um die Vorstellungen darüber, was ein „normales“ Gesicht ausmacht, durcheinanderzubringen. Jackson wurde schon früher mit Orlan verglichen – meistens auf eine unvorteilhafte Art (ihre Kunst wird als „politisch“ und „selbstbewusst“ betrachtet, ganz im Gegensatz zu seiner). Jacksons körperliche Veränderungen sind auf positive Art zahm, verglichen mit dem, was diese Künstler getan haben, sie agieren gleichzeitig im selben und doch einem ganz anderen Bereich. Weit entfernt davon, einfach nur zu versuchen jünger auszusehen (oder „weiß“) machte er sich auf, die Vorstellungen über Geschlechterzuordnung, Volkszugehörigkeit und „Normalität“, wie sie auf den Körper, besonders in das Gesicht geschrieben waren, zu hinterfragen. Aber er tat dies nicht auf unbestreitbar offensichtliche Weise, wie es jene Künstler wie Orlan oder Stelarc tun. Seine Manipulationen beabsichtigten glaubwürdig, lebenswert zu sein, um Grenzen einer eher „alltäglichen“ Art infrage zu stellen, Grenzen, innerhalb derer Menschen unterschiedlicher Geschlechter und Rassenzugehörigkeit tatsächlich leben. Leider entschied er sich kein Manifest darüber zu schreiben, wie es Orlan getan hat (ihr Carnal Art Manifesto10) oder auf andere Art ungeheuer detaillierte Erklärungen darüber, was er zu tun versuchte, abgab, wie es Stelarc getan hat (besucht seine Website). Kommerzielle Künstler reden selten über die Absichten hinter ihren Werken auf die Art, wie es „experimentelle“ oder „avantgardistische“ Künstler tun, und die Kommerzialisierung lässt uns leicht denken, dass eigentlich wenig oder keine Intention dahintersteckt. Aber in einem Werk, das so sorgfältig ausgearbeitet ist wie Jacksons, einschließlich seines Körpers, ist dies schlichtweg Unsinn.
Seine wunderlichen Arten Verwandtschaft herzustellen sind Erweiterungen der Wandlungsfähigkeit seines Körpers. Seine Familie bezog Tiere wie den Schimpansen Bubbles, die Schlange Muscles und das Lama Louis ein. Ich denke nicht, dass es Zufall ist, dass Ryden in seinem Gemälde so viel Gewicht auf Tiere legte, einschließlich dessen, was wahrscheinlich als Repräsentation eines gekrönten Bubbles ganz vorn in der Mitte gemeint ist, wenn man bedenkt, wie wichtig sie für Jackson waren. Eins der bedeutendsten Bilder in dem Gemälde ist das Kind – ein schwarzes Kind – gestützt von Jacksons liebevoller, aber lebloser Hand, genau wie er/sie den Tierschädel hält. Da ist sehr viel Zärtlichkeit in diesen Abbildungen, sehr viel Gemeinschaft zwischen Lebenden und Toten, Belebtem und Leblosem. Seine Familie beinhaltete außerdem Hollywood Diven wie Elizabeth Taylor ebenso wie Frank Cascios Mittelklasse-Familie aus New Jersey. Cascios Vater war Manager des Helmsley Palace in Manhattan. Jackson traf ihn und freundete sich mit ihm an, als er in dem Hotel wohnte und im Grunde die Familie als seine eigene annahm, dort regelmäßig auftauchte und Zeit in ihrem Zuhause verbrachte, und gemäß Franks Berichten staubsaugte, mit dessen Mutter die Betten machte und mit den Kindern herumhing.11 Seine Familie schloss natürlich auch Kinder mit ein, die aber nicht auf seine eigenen beschränkt waren. Mit seiner „Entourage“ bei den Grammy Awards 1984 zelebrierte er seine Vorstellung über nicht normierte Verwandtschaft: Brooke Shields (schöne weiße Frau), Kinderschauspieler Emmanuel Lewis (schwarzes Kind) und den Schimpansen Bubbles. Ich glaube, wenn dies in den letzten paar Jahren stattgefunden hätte, dann wäre es als ernsthafte Herausforderung gegenüber der vorherrschenden Vorstellung über die „normale“ Kernfamilie, die für ihn eine zu enge Vorstellung einer Familie darstellte, bejubelt worden. Vieles davon wurde als krankhaft und gefährlich angesehen, besonders von den Medien, da es keine lesbare Lebensweise darstellte, nicht legitimiert, nicht „verantwortungsvoll“. Möglichkeiten der Verwandtschaft außerhalb des „Normalen“ sind, wie Philosophin Judith Butler schreibt „als undenkbar ausgeschlossen … die Bedingungen für das Denkbare werden erzwungen durch die engstirnigen Debatten darüber, wer und was in der Norm enthalten ist.“12 Jacksons Vision in Bezug auf Körper und Verwandtschaft war im Grunde seiner Zeit voraus, manche mögen sogar sagen, sie war utopisch. Er formte eine Art in dieser Welt zu leben, die auf der Vorstellung darüber basierte, was Haraway „Affinität“ (Verbundenheit, Wesensverwandtschaft), nicht „Identität“ (Gleichheit) basierend auf der Erschaffung von Zusammenschlüssen Gleichgesinnter nannte. Ich habe so ein Gefühl, dass die verschiedenen Engel und Skelette in Rydens Gemälde mühelos in Jacksons Vision passen.
Ich sage dies, weil seine Grenzüberschreitungen, besonders hinsichtlich Begriffen wie Verwandtschaft, nahtlos seine spirituelle Weltsicht abbilden – nein, nicht die Version der Zeugen Jehovahs, der seine Mutter angehörte. Zur Zeit von Bad freundete Jackson sich mit dem spirituellen Lehrer Deepak Chopra an und die Anzeichen für Chopras Einfluss begannen sich besonders zu Zeiten von Dangerous durchgesetzt zu haben. Chopra wird oft als „New Age Guru“ bezeichnet, dies mindert allerdings die Komplexität seines Gedankenguts, welches eine Reihe von spirituellen Praktiken kombiniert, einschließlich alter vedischer Texte, einer spirituellen Tradition, in der er aufgewachsen war mit westlicher Wissenschaft (er ist Arzt) und ganzheitlicher Medizin. Lies Jacksons wundervolle Inschrift auf der ersten Seite des Covertextes von Dangerous: Tanzen erlaubt ihm durch Verschmelzung mit allem, was ist das Heilige zu erfahren, mit der Schöpfung, die das Ergebnis des Bewusstseins ist, Schöpfer und Schöpfung sind ein und dasselbe. Dies gibt Chopras grundlegende spirituelle Botschaft wieder: „… die Welt ist eine nahtlose Schöpfung, durchtränkt von einer einzigen Intelligenz, einem einzigen schöpferischen Plan … . In der einzigen Realität erschafft das Bewusstsein sich selbst, was dasselbe bedeutet, wie wenn man sagt, dass Gott in seiner Schöpfung selbst enthalten ist. Es gibt für Göttlichkeit keinen anderen Ort außerhalb der Schöpfung.“13
Chopra führt dies auf die Quantenphysik zurück, welche „Zeit und Ort wieder in eine neue Geometrie zurückführt, wo es keinen Anfang und kein Ende, keine Kanten und keine Stabilität gibt … Das Quantenfeld existiert nicht getrennt von uns – wir sind es. Wo die Natur Sterne, Galaxien, Quarks und Leptonen erschafft, so erschaffen du und ich uns selbst.“14 Deswegen ist alles und jeder Teil des Ganzen und des Göttlichen, ist in dieser Einheit enthalten und existiert nicht außerhalb von ihr. Bewusstsein ist schöpferisch, und deshalb sind wir fähig, es zu beeinflussen; unsere Gedanken ebenso wie unsere Taten formen die Welt wie auch das Universum. Jackson hatte diese Gedanken bereits untersucht, bevor er Chopra traf, der über seinen ersten Besuch in Jacksons Haus berichtete, dass überall „kleine Krishnas aufgestellt waren“.15 In seinem Werk drückte er diese Empfindungen bereits weit zurückliegend mit „Can You Feel It“ (The Jacksons) und auch in „Another Part of Me“ vom Bad Album aus, die beide ganz sicher von Einheit und Verbundenheit handeln und den Mythos des Getrenntseins sprengen. Aber die öffentliche Erforschung dieser Gedanken spielten eine zentrale Rolle in der Dancing the Dream genannten Sammlung von Gedichten und Geschichten, die Jackson mit Chopras Hilfe 1992 veröffentlichte und die zutiefst mit Dangerous verbunden ist. Das Buch beginnt mit den Worten, die die Eröffnungsseite des Begleittextes des Albums zieren. Die Lyrics von „Heal the World“ und „Will You Be There“ werden ebenfalls wiedergegeben. Seite für Seite dieser Sammlung wendet sich Jackson den Themen des universellen und zeitlosen Bewusstseins zu, aus dem wir kommen und zu dem wir zurückkehren werden, der Einheit dieses Bewusstseins, der schöpferischen Kraft unserer Gedanken. Die Gedanken könnten direkt aus einem von Chopras Büchern stammen – oder aus jenen anderer spiritueller Lehrer wie Louise Hay, Eckhart Tolle oder aus A Course in Miracles (Eine Lehrstunde der Wunder). Das Gedicht „Heaven Is Here“ bietet einen der am vollständigsten ausgearbeiteten Ausdruck dieser Vorstellungen:16
You and I were never separate
It’s just an illusion
Wrought by the magical lens of
Perception
Du und ich waren niemals getrennt
Es ist nur eine Sinnestäuschung
Konstruiert durch die magische Linse der Wahrnehmung
There is only one wholeness
Only one Mind
We are like ripples
In the vast Ocean of Conciousness
Es gibt nur eine einzige Ganzheit
Nur einen einzigen Geist
Wir sind wie kleine Wellen
Im gewaltigen Meer des Bewusstseins
Aber es gibt noch viele andere Beispiele, die sich quer durch Dancing the Dream ziehen: Zeit, Raum, Energie sind nur eine Vorstellung, es sind Begriffe für das, was wir erschaffen haben.
„Hörst du zu (Are you Listening): Unsterblichkeit ist mein Spiel, aus Glückseligkeit komme ich, in Glückseligkeit befinde ich mich, zu Glückseligkeit werde ich zurückkehren … . Mein Körper ist ein Energiestrom im Fluss der Zeit, Äonen sind vergangen, Zeiten kommen und gehen, ich erscheine und verschwinde wieder.“ Jackson verbindet sogar seinen künstlerischen Prozess mit dieser Vorstellung: „Die Leute fragen mich, wie meine Musik entsteht. Ich sage ihnen, dass ich einfach hineintrete. Es ist so, als würde ich in einen Fluss treten und mich dem Fließen hingeben.“
Die Gedichte und Betrachtungen werden von Fotografien, Gemälden und Zeichnungen begleitet. Der größte Teil der Fotos zeigt Jackson tanzend. Von den 89 Fotografien im Buch stammen 36, einschließlich des Titelbildes, aus dem Kurzfilm für „Black or White“. Die meisten von ihnen sind Standaufnahmen des „Panther Dance“. Dies gibt uns einen Hinweis darüber, für wie bedeutend Jackson dieses Stück einschätzte, und wie er, wenn es aus dem Film herausgelöst würde, sicherstellen würde, dass Teile davon in diesem Buch fortleben würden. Aber zusammen mit einer Vielzahl anderer Fotografien, die ihn tanzend zeigen, wird sein Tanz, durch den er, wie er sagt, eins wird mit der gesamten Schöpfung, auch dem Bereich des Sakralen zugeordnet.
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Musik wird in den meisten Kulturen als ein Mittel eingesetzt, durch das man sich mit dem Sakralen verbinden kann, um die Bedeutung reiner Worte noch zu „erhöhen“ und sie und unseren Körper dadurch aus dem Alltäglichen zu lösen, um unser Zeitgefühl umzugestalten und Gemeinsamkeit auf eine Art zu schaffen, wie nur Musik es kann. Es gibt so viele verschiedene heilige Musiktraditionen. Warum sich nur auf eine einzige beziehen? Warum erschaffen wir nicht auch hier eine Kreuzung, Vermischung (Cross-over)? Und drücken durch diesen Prozess, durch den musikalischen Klang, die Theologie des Eins-Bewusstseins aus.
Die Vierergruppe von Songs, die auf „Black or White“ folgt, zeichnet einen Pfad quälender persönlicher Kämpfe und gewissermaßen deren Erlösung nach. Für mich formt diese „Gruppe“ das Herz und die Seele des Albums. Da ist ein tiefgründiges In-sich-gehen. Kein Moralisieren mehr über den Zustand der Welt, kein Soul Man Machismo, keine bedeutungsschweren Utopien, keine Kinder – nun, wenigstens nicht bis danach. Auch kein Lärm. Die ersten drei Songs geben absolute und völlig aus den Angeln gehobene Einsamkeit, Verzweiflung und Sehnsucht wieder, für die es scheinbar nur wenig Abhilfe gibt. Wie die „Soul Man“ Songs fast zu Beginn des Albums unterminieren die meisten davon bewusst Jacksons Brillanz, generationenübergreifende Werke zu schaffen und deuten so wieder darauf hin, dass dieses Album auf bedeutende Art anders ist als vorangegangene Darbietungen. Hier ringt Jackson mit erwachsenen Dämonen, wo er verraten und allein ist und sich fragt, ob Geborgenheit und Gemeinschaft für ihn überhaupt erreichbar sind. Schon eins davon reißt dir dein Herz heraus, aber eins war nicht genug. Jackson hatte das Gefühl, dass es nötig sei, sie anzuhäufen, das Gefühl von Verzweiflung über den Verlauf von drei verschiedenen Songs aufzubauen, von denen jeder einzelne eine auffallend andere musikalische Sprache aufbietet, ein wenig zeitgenössisch, ein wenig historisch: Was er zu sagen scheint, ist „Ich beweine Religionszugehörigkeit und die Zeit.“ Der vierte Song „Keep the Faith“ versucht, uns aus diesen Tiefen emporzuheben, aber obwohl er sich sehr bemüht, uns in die Kirche mitzunehmen, glaube ich nicht, dass der Optimismus fähig ist, die Angst des Vorangegangenen aufzuwiegen. Nicht nur das, sondern der darauffolgende Song „Gone Too Soon“ führt uns wieder zu Verlust und Verzweiflung. Dieser Song übernimmt eine besondere Bedeutung durch den Kurzfilm, welcher Ryan White gewidmet ist, dem Teenager-Aktivisten, der durch Bluttransfusionen an HIV/AIDS erkrankte, die er bekam, um seine Hämophilie (Bluterkrankheit) zu regulieren. Die Angst und Diskriminierung, die in den frühen 1980ern mit dem Thema HIV/AIDS einherging, hatte seinen Ausschluss aus der Schule zur Folge, und die Medienaufmerksamkeit führte durch Whites Fall zu einem erhöhten öffentlichen Bewusstsein hinsichtlich der vielfältigen Ursachen. Aber auf dem Album gibt es keine Widmung dieses Songs an White, und so ist es auch möglich, ihn als Fortführung der allgemeinen Erzählung von Verlust und Einsamkeit, die Jackson gegen Ende des Albums untersucht, zu lesen.
„Who Is It“ und „Give In To Me“ handeln nur oberflächlich gesehen von Liebe und Betrug durch eine Frau. Die Lyrics sind unbestimmt genug, um die Identität von Jacksons Sujet infrage stellen zu können: „Sie“ und „Frau“ kann sowohl wortwörtlich als auch metaphorisch gesehen werden, von intimer Beziehung oder Beziehungen mit dem Göttlichen handelnd (ich greife diesen Hinweis von Bono auf, der oft sagte, dass sich das „sie“ in seinen Lyrics auf den Heiligen Geist beziehen würde). Ich habe mich zum Beispiel gefragt, ob das „sie“ in „Who Is It“, das „sie“, durch das die Hauptperson betrogen wurde, die irdische Kirche kennzeichnen soll, durch die Versprechungen gemacht und dann gebrochen werden. Ich habe mich gefragt, ob die brennende Sehnsucht im Refrain von „Give In To Me“ so etwas wie jene Liebe ist, die die mittelalterlichen Mystiker für Christus fühlten, von ihnen in einer sinnlichen Sprache beschrieben (vor Sehnsucht zu brennen, war keine ungewöhnliche Metapher), die zu erfassen versuchte, welch kraftvolle Gefühle sie verspürten.
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In den frühen 1990er-Jahren liebäugelte die Popkultur mit gregorianischen Gesängen. Die Gruppe Enigma veröffentlichte Ende 1990 das Album MCMXC a.D. und die Single „Sadness, Part I“, in die der sakrale Gesang eingearbeitet war, kletterte in über 20 Ländern an die Spitze der Hitparaden. Mitte der 1990er-Jahre wurde eine Aufnahme mit Gregorianischen Gesängen der Mönche von Santo Domingo de Silos von 1970 wiederveröffentlicht und verkaufte sich phänomenal gut, zum Großteil an Yuppies, die, laut einer zynischen Bemerkung einer Zeitung, diese Musik als „Gegenmittel zum Stress“ benutzten.17 Andere Aufnahmen von Musik mit ähnlichem Gesang, wie Vision: The Music of Hildegard von Bingen (1994) kombinierten, wie schon Enigma einige Jahre zuvor, sakrale Monofonie mit fetten Beats, aber veröffentlichten es unter dem Namen der Äbtissin und Mystikerin aus dem 12. Jahrhundert selbst.
Jackson umrahmt und durchtränkt „Who Is It“ mit sakralem Gesang, durch Anleihen an den Stil, jedoch ohne direkt zu zitieren. Natürlich weiß ich nicht, ob diese Anleihen bewusst geschahen oder nicht, die deutlichen klanglichen Ähnlichkeiten erwecken jedoch den Anschein, dass es bewusst geschah. Die eröffnenden engelsgleichen Stimmen (unglaublich, aber eine davon ist seine eigene) singen zweimal eine einfache Phrase. Diese kleine musikalische Phrase ist auf die rezitierenden Klänge mittelalterlicher Choräle aufgebaut, die so genannt werden, weil sie zum Rezitieren von Psalmen benutzt wurden, einer Gebetsform, die das Herzstück spiritueller Übungen in der klösterlichen Tradition bildet. Es gibt im Chant-Gesang von „Who Is It“ eine weitere hübsche mittelalterliche Anleihe, die Harmonie endet auf dem Intervall der Quarte – einem der wohlklingendsten Intervalle des Mittelalters, jedoch für modernere, westliche Ohren seltsam klingend. Die „Klarheit“ der Stimmen (kein Vibrato, keine Verzerrung, klar und deutlich) und die große Menge Hall, die uns in die Kathedrale Notre Dame oder die St. Marks Basilika versetzt, platziert diese Musik ebenfalls in den Bereich des Christlich-Sakralen.
Der Groove des Songs unterbricht den Chant-Gesang / das Gebet: Man denkt, es könnte noch eine weitere Wiederholung dieser schönen Melodie geben, aber stattdessen wird man von einer Rhythmussprache aus einer anderen Welt aufgerüttelt, die aber Spuren des Gesangsmotivs beibehält: vielleicht nicht so geräuschvoll wie frühere Grooves auf diesem Album, aber rhythmisch scharf und dunkel, mit einem lauten, treibenden Bass, der auf den ersten beiden Beats jedes Taktes sehr präsent ist – wir werden durch den Bass auf eine Art geerdet wie in keinem der bisherigen Songs. Einen Teil des musikalischen Kampfes, den wir in diesem Lied hören, ist das gesungene Chant-Eröffnungsmotiv, das versucht sich gegen die Eindringlichkeit des Grooves durchzusetzen, und es versucht es in allen Varianten: Es taucht bei der vierten und fünften Wiederholung des Grooves, bevor Jackson zu singen beginnt, auf, aber es scheint diese Verspieltheit zu fehlen, die es hatte, als wir es zum ersten Mal hörten; auch während des Refrains taucht es in dieser Form auf. Wir hören es während des instrumentalen Zwischenspiels, besonders bei der Flöte, wo es sich wieder ausweiten darf. Und man hört es am Ende des Songs bei dem Cello, einem oft mit einem schwermütigen Klang in Verbindung gebrachten Instrument. Hören wir dieses Motiv bei dem Cello zum letzten Mal, erstreckt es sich bis zum H, der klagend klingenden sechsten Stufe (Doppeldominante) der Moll-Tonleiter, bevor es auf der Note davor und nicht auf der Tonika – oder dem Grundton der Tonleiter – abschließt, unvollendet klingend. Es scheint ziemlich deutlich, dass dieses Motiv das Sakrale repräsentiert, die Natur dieses Heiligen – ob tröstlich oder einschüchternd – ist nicht klar.
„Who Is It“ ist hypnotisierend, nicht nur wegen der Wiederholung des Motivs durch das ganze Stück hindurch, sondern auch wegen der an den Chant-Gesang erinnernden Formen in anderen Teilen der Melodie, besonders im Refrain, mit seiner schrittweisen Bewegung und dem geradlinigen Rhythmus und dessen nicht enden wollender Wiederholung während des letzten Drittels des Songs. Aber da ist auch etwas Dunkles und Monumentales in der Musik: Monumental in der Art, wie die Struktur durch die unterschiedlichen Einsätze des Chant-Motivs Höhen und Tiefen bekommt, sich ständig zu dem hohen Streichorchester Sound aufbauend. Der geradlinige, langsame Rhythmus des Motivs beginnt auf unheimliche Weise losgelöst zu klingen, düster, aber nicht in der Lage, sich den emotionalen Tiefen von Jacksons Stimme anzupassen (die sich hier besonders verwundet anhört: Einer der berührendsten Momente entsteht, wenn sein sonst so überschwängliches „hee hee“ auf ein klägliches Schluchzen reduziert ist; er hätte kein besseres Mittel finden können, um die Tiefe seines Schmerzes zu vermitteln). Dieses Motiv ist meditativ, aber nicht besonders beruhigend. Zu starr, zu strukturiert, zu unflexibel, nie fähig, die Einfachheit und Schönheit des am Anfang gehörten wiederzuerlangen. Und am Ende des Songs wird das Motiv aufgegeben, es verläuft einfach im Nichts, wird von Jacksons energischem Beat-Boxen übernommen, was dann ebenfalls ausgeblendet wird – nicht einmal als ein schönes, langes Ausblenden, sondern so, dass auch dieses abgebrochen, abgeschnitten zu sein scheint. Alles Streben nach epischer Erhabenheit verpufft am Ende des Songs, verläuft im Nichts.
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Metal-Rock Powerballaden wurden eindeutig dafür kritisiert, zu gefühlsduselig zu sein; maßgeblich daran beteiligt, dass Metal-Rock in den 1980er-Jahren massentauglich wurde, wurden solche Balladen oft als „Hymnen des kommerziellen Eifers“ bezeichnet und, nach Ansicht einiger frauenfeindlicher Fans und Kritiker vielleicht noch schlimmer, dass sie auf die „Top 40 der Hausfrauen und deren Töchter“ (Top 40 Housewives and their daughters) ausgerichtet waren und die Bedeutung und Kraft der Musik verwässern würden.18 Diese Balladen brachten als unvereinbar geltende Elemente zusammen: das langsame Tempo, lyrische Melodien, das Gefühl von Intimität und ausdrucksvolle Landschaften, wie sie in traditionellen Balladen zu finden sind, die, wie David Metzer es bezeichnet, „sich Liebe und Verlust zunutze machen“19 – Eigenschaften, die mit musikalischen Begriffen ausgedrückt, konventionell als feminin bezeichnet werden – mit rauem Gesang, kraftvollen Akkorden und virtuosen Gitarrensoli des Rock und Metal – in dem es oft um Machismo, Macht, Sex und Aufbau und Beherrschung der Welt geht und nicht um Romantik. Die Powerballade feierte die romantische Liebe: Von einer Frau gegenüber einem Mann offenbart („I Want to Know What Love Is“ von Foreigner), als grundlegende Wirkung einer Frau auf Männer, die „draußen in der Welt“ sind („Sweet Child O Mine“ von Guns N’ Roses, „Home Sweet Home“ von Mötley Crüe) als Bestätigung, dass du (Frau) recht hattest und ich (Mann) falsch lag und es mir jetzt leidtut („Every Rose Has Its Thorn“ von Whitesnake). Je nach Ausführung kann die sich daraus ergebende Intensität entweder nicht überzeugend süßlich oder atemberaubend wirkungsvoll sein und eine Art „Energie erzeugen, in der Zuhörer sich verlieren können.“20
In seinem Song „Give In To Me“ nutzt Jackson die musikalische Sprache und die emotionale Intensität der Metal-Powerballade mit unglaublichem Effekt, schiebt die emotionalen Grenzen bis an ihr Limit. Doch sein Ziel ist es, sich über die Konventionen des Genres hinwegzusetzen, ihm in seiner tiefen Enttäuschung ins Gesicht der süßlichen Gefühle zu spucken. Die Frau in seinem Text ist brutal, sie ist keine Quelle des Trostes, sie repräsentiert kein „Zuhause“, sie lehrt ihn nicht das Wunder der romantischen Liebe, zähmt nicht seine Männlichkeit und befriedigt nicht sein Verlangen. Er hat, wie es scheint, nichts falsch gemacht, hat nichts zu bereuen (etwas, worauf die Frauen in anderen Beispielen dieses Genres notwendigerweise reagieren.) Es gibt Herzschmerz ohne Sentimentalität. Es gibt Sehnsucht, aber nach Sex, nicht nach Romantik. Sein Schmerz und seine Wut bringen ihn dazu, um sich zu schlagen – das ist in einer Powerballade nicht vorgesehen.
Der Text zu diesem Song kam mir immer zerrissen vor, es funktioniert besser, seitdem ich aufgehört habe, ihn stimmig machen zu wollen. Hier geht es um Gefühlschaos. Jackson versucht dieses Chaos einzufangen, indem er Trauer, Schmerz, Trotz, Wut, Ausdauer (niemals fragen, warum) zur gleichen Zeit ausdrückt. Das Gefühl verändert sich ständig, wie es in turbulenten Beziehungen der Fall ist. Es besteht eine Art Diskrepanz zwischen den Strophen, in denen es aussieht, als hätte er praktisch aufgegeben (besonders deutlich in der herausfordernden Bridge, in der er aussagt, nicht mehr länger da sein zu wollen) und dem Refrain, in dem er drängt, dass seine Geliebte auf sein unerbittliches Verlangen eingeht. Eine der großen Stärken des Textes des Refrains ist, dass sich jedes Mal, wenn wir ihn hören, die Reihenfolge einiger Zeilen verändert hat, oder eine neue Zeile hinzugekommen ist („falsch“ für einen Refrain). Eine äußerst wirkungsvolle Art, um Verwirrung, Kontrollverlust, Überwältigung oder Erschöpfung auszudrücken: Er kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Der Klang seiner Stimme verändert sich zwischen Strophen und Refrain radikal: Ein sauberes Timbre, in der Tonhöhe ansteigend, um das Übermaß an Emotionen auszudrücken, steht im Kontrast zu einer Menge Verzerrungen und kurzen, abgehackten Phrasen in den Refrains.
Man könnte annehmen, ein solcher Song würde auch weiterhin das Mittel der musikalischen Haltlosigkeit, wie wir sie zuvor in diesem Album hören konnten, nutzen, aber wie bei „Who Is It“ ist das auch hier nicht der Fall. Sowohl in den Strophen als auch im Refrain wird die gleiche einfache Akkordfolge benutzt, der Bass ist durchgängig stark, die Akkorde in Oktavlage gesetzt. Zusammen mit der Hall beladenen Produktion, die den Klangraum besonders im unteren Bereich öffnet, bewirkt dieses, dass man in den Schmerz hineingezogen wird: Ich fühle diese Basstöne tief in meiner Seele. Die Harmoniefolge eignet sich zur Uneindeutigkeit, denn es ist leicht möglich, von der dunklen Moll-Tonart zur sonnigen Dur-Tonart zu schwenken – Patti Smiths „Because the Night“ ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie sich dadurch Stimmungsgegensätze erschaffen lassen – aber Jackson erlaubt dieses Spiel nicht, lässt diese Möglichkeit nicht zu und bleibt schonungslos in der Moll-Tonart.
Wie in vielen Liedern von Jackson, nimmt der Refrain die ganze letzte Hälfte des Songs ein, in diesem Fall lässt sie uns – und den Sänger – in Verzerrungen, Rückkopplungen, den stattlichen Akkorden des Mellotrons und Slashs virtuosem und ungezügeltem Gitarrensolo ertrinken. Slash war eine hervorragende Wahl für diesen Song, denn sein Gitarrenstil stellt emotionsgeladenes Spiel – und das ist ein Kompliment – über eine saubere, klare Technik.
Und doch bleibt dieses ganze musikalische Miasma irgendwie geerdet und kraftvoll, da eine starke und konventionelle Akkordfolge sowohl die Strophen als auch den Refrain untermauert. Selbst als diese Akkordfolge etwa 1 Minute und 15 Sekunden vor dem Ende des Songs stoppt, löst sie sich auf in ein fundamentales Dröhnen, auf E, dem Grundton der Tonart, beendet die Vorwärtsbewegung, damit wir uns ganz im Gefüge der Komplexität und des Dramas einfinden können. Die Extreme dieses Songs, vorrangig das dramatische Ende, sind zweifellos dem Gothic zuzuordnen.
Joe Vogel schreibt dazu: „Jackson hat schon zuvor Rock gemacht, aber nicht auf diese Art.“21 Da ist nichts mehr von dieser „theatralischen Art“, wie Vogel es nennt, von Songs wie „Beat It“ oder „Dirty Diana“. Was er wollte, war die uneingeschränkte emotionale Sprache, die Erhabenheit, die monumentale Qualität einer Metal-Ballade, nicht um die Liebe zu feiern, sondern um die Unmöglichkeit der Art von Liebe zu enthüllen, die diese Songs normalerweise preisen. Jackson hat den Schalter nur ein wenig weitergedreht, von der von Gesang durchdrungenen R&B-Welt von „Who Is It“ hin zur Rock-Welt von „Give In To Me“, hat die musikalische Sprache etwas verändert, alle die Thematik unterstützenden Möglichkeiten genutzt, um tief in die Flut der Gefühle einzutauchen, auch den letzten Tropfen des Schmerzes herauszupressen, um den für die Schwere des Betrugs typischen Teil zu finden: Auch wenn er das Genre meisterlich beherrscht, so ist es doch nicht für ihn gedacht. Es lässt ihn hoffnungslos unerfüllt zurück, mit brennendem Verlangen, das aber niemand zu löschen vermag, sosehr er auch darum bettelt. Weiße Rockmusik als Religion, was keine ungewöhnliche Sichtweise ist, kann ihm nicht aus der Verzweiflung heraushelfen, sondern stürzt ihn noch tiefer hinein (größere Fragen zur Rassenproblematik können hier sicherlich hineininterpretiert werden). Genau wie „Who Is It“ läuft auch „Give In To Me“ zum Ende hin aus, der schwere Groove reduziert sich dieses Mal nicht zu einem Beatboxen, sondern zu einem einzelnen Ton der Gitarren-Rückkopplung, ein Zeichen des Versagens.
* * *
Jacksons Zitat aus Beethovens „Ode an die Freude“ zu Beginn von „Will You Be There“ mag „verwegen“ sein, ist jedoch nicht willkürlich.22 Die „Ode an die Freude“, die den 4. Satz der neunten Symphonie abschließt, beginnt eigentlich mit einem Text, den der Komponist selbst Schillers Gedicht vorangestellt hat: „Oh Freunde, nicht diese Töne, sondern lasst uns angenehmere anstimmen, und freudenvollere.“ Es wäre für Jackson wohl zu offensichtlich gewesen, diese Zeilen am Anfang von „Will You Be There“ zu zitieren, aber sein ruheloses Erforschen von Musikstilen bei seiner Seelenerforschung reflektiert Beethovens eigene Seelensuche am Ende der neunten Symphonie. Beethoven greift Themen und musikalische Ideen aus vorherigen Sätzen der Symphonie erneut auf, um sie dann wieder zu verwerfen, und wie man weiß, ist dieses auch die erste Symphonie, die Stimmen einsetzt, was bedeutet, dass Beethoven nicht nur seine eigenen vorherigen Ideen aufgibt, sondern die ganze konventionelle Form des von ihm komponierten Genres. Er geht neue Wege, erschafft eine neue Form (Hybrid). Hört sich das nicht vertraut an?
Jackson scheint die musikalischen Genres, die formalen Strukturen und Spiritualitäten, die er bis hier auf diesem Album ausprobiert hat, auf ähnliche Weise zu verwerfen, indem er sich einer Tradition der hohen Kunst zuwendet, die weit entfernt von der Welt der kommerziellen Popmusik liegt. Die Passage, die er aus „Ode an die Freude“ ausgewählt hat, ist die wohl „religiöseste“ in einem Gedicht, dessen „Religion“ eigentlich als weltlich zelebriert wird, „die Brüderlichkeit der ganzen Menschheit“.
Do you bow down before him, you millions?
Do you sense your creator, World?
Seek him above the starry firmament
Above the stars he must dwell
Stürzt ihr nieder, Millionen?
Ahnst du den Schöpfer, Welt?
Such ihn über dem Sternenzelt
Über den Sternen muss er wohnen
Beethovens Musik ist an dieser Stelle ehrfürchtig, ein großer Kontrast zu dem, was davor und im Anschluss kommt: Überschwänglichkeit, halsbrecherische Tempi, verrückte, hohe Soprane, die mit rhythmischer Sicherheit das bekannte Thema „Joy / Freude“ heraus schmettern. Im Kontrast dazu ist dieses hier eine Hymne, ein Innehalten zur Besinnung, Beethoven weist die Musiker an, sie „mit Hingabe“ zu spielen. Eine beeindruckende Wahl, die Jackson hier getroffen hat. Die Theologie, auf die man sich hier beruft, erkennt einen Schöpfer an, aber nicht Gott. Sie ruft zum Erkennen einer höheren Macht auf und zur Demut ihr gegenüber, aber es ist so weit gefasst, dass es auch mit Jacksons Inschrift auf dem Begleitheft des Albums übereinstimmen kann, im Sinne von Einswerden mit dem Schöpfer und der Schöpfung. (Anmerkung: ‘The Dance’) Das ist, wonach Schiller mit diesem Gedicht ruft: „Alle Menschen sollen Brüder werden“ und „Jeder, der auf dieser Welt eine Seele hat (lass ihn sich unserem Lobgesang anschließen).“ Das Gedicht wurde als „eine weltumfassende Erklärung der Brüderlichkeit“ bezeichnet, der letzte Satz der Symphonie eine „gewissermaßen religiöse, jedoch nicht konfessionelle Segnung aller „guten“ und „rechtschaffenen“ Menschen und Institutionen.“23 Das alles kommt der Theologie des „Eins-Bewusstseins“, das Jackson in Dancing The Dream zelebriert sehr nahe, aber Schillers Ode spiegelt auch Jacksons lebenslange Sehnsucht nach Frieden und einem liebevollen Miteinander in der Welt wider. Dieses Gedicht ist in seinen historischen Kontext zu setzen, es wurde in einer Zeit (im frühen 19. Jahrhundert) geschrieben, als, nach der Französischen Revolution, „verängstigte dynastische Herrscher danach strebten, sich herauszuputzen und für sich das Konzept des göttlichen Rechts geltend zu machen.“
Es war eine Zeit, die sich durch „Unterdrückung und ultrakonservativen Nationalismus“24 auszeichnete. Schillers Gedicht und Beethovens Interpretation beziehen sich auf diese Unterdrückung, auf Privilegien durch die Geburt, auf Klassentrennung, so wie Jackson es oft im Verlauf seines Lebens tat.
(Anmerkung/Link: Ludwig van Beethoven – Neunte Sinfonie)
Doch die Passage, die Jackson zitiert, endet mit Ungewissheit: Der Schöpfer muss über den Sternen wohnen… Oder etwa nicht? Die Musik fragt auch danach, sie endet mit einer Dissonanz und lässt die Frage in der Luft hängen. In Beethovens Symphonie kommt die Auflösung im nächsten Satz, aber Jackson zitiert nicht weiter; er lässt die Frage nachklingen. „Will You Be There“ ist eine Erkundung dieser Ungewissheit. Es ist eine direkte Bitte an diesen Schöpfer, der ganz sicher da ist, aber vielleicht nicht für ihn. Die folgende, liebliche Chorpassage spiegelt den Anfang von „Who Is It“ wider, obwohl eine leicht abgewandelte, jedoch trotzdem altmodische musikalische Sprache heraufbeschworen wird. Sie erinnert mich mit diesem aufsteigenden Soprano an sakrale Polyphonien der Renaissance, an eine Messe von Palestrina oder Allegris beeindruckendes „Miserere“, die Stimmen erinnern an Knabenchöre, die manchmal diese Art Musik singen. Es hat den Anschein, als würden hier, als ein Zeichen der Hoffnung, wieder Kinder erscheinen; und tatsächlich erscheinen sie auch in dem Kurzfilm zu diesem Song und singen diesen engelsgleichen Eröffnungschor (oder bewegen zumindest die Lippen dazu). Nach diesem ehrfürchtigen Moment wendet Jackson sich von dieser Tradition der hohen Kunst hin zur Musik der Kirche der Schwarzen, nicht nur in einem Song, sondern in zwei aufeinander folgenden. So viel zu den Vorwürfen, er würde seine schwarze Herkunft verleugnen. Hier wird es zu seiner Rettung, seiner Heimat, seiner Stärke, seinem Überleben; es vollendet Beethoven, damit wir nicht denken, Beethoven und die Tradition der weißen, hohen Kunst stünden für Vollendung in sich selbst. Sowohl in „Will You Be There“ als auch in „Keep The Faith“ bringt er die Andraé Crouch Singers – den Gospelchor, die ganze (schwarze) Gemeinschaft – zu seiner Unterstützung mit ein. Der Chor antwortet hier nicht in der typischen Art auf Jacksons Rufe, sondern mit einer Serie von Befehlen, ähnlich jenen in „Give In to Me“. Die Gemeinschaft ist nicht nur zur Unterstützung da, sondern um mit einer Stimme Heilung, Liebe, Fürsorge und Segnung zu fordern. Um es mit anderen Worten zu sagen, es ist nicht nur Jackson, der leidet, es ist die gesamte Gemeinschaft, und er gibt dieser Gemeinschaft seine Stimme.
Wenn auch die Fragen in „Will You Be There“ nicht im Text beantwortet werden, so werden sie es doch durch die Musik. Die Moll-Tonart wird durch eine heitere Dur-Tonart ersetzt. Gleich ab Beginn des Piano-Intros hört man einen tiefen, anhaltenden Ton in der Tonika, die fast durch das ganze Lied bestehen bleibt und uns im gegenwärtigen Augenblick erdet. Tatsächlich verlassen wir nie diese Tonika, weder in den Strophen noch im Refrain (sie wird ausgestaltet, aber wirkliche Veränderungen der Akkordfolge sind nur in der Bridge vorhanden). Es ist außergewöhnlich, eine Komposition zu erschaffen, die sich mehr oder weniger auf einen einzigen Akkord aufbaut. Jackson singt die ersten eineinhalb Strophen etwa eine Oktave unter seiner normalen Stimmlage (ja, er konnte so tief singen) und setzt dabei ein wunderschönes, warmes, entspanntes Timbre ein. In der Hälfte der zweiten Strophe steigt er um eine Oktave an, um die Intensität zu steigern, und diese Tonlage behält er für den restlichen Song bei. Der Song ist hauptsächlich auf dieser von Jackson so geliebten Modulation aufgebaut. Hier kommt sie nicht weniger als dreimal zum Einsatz, hebt das Stück von D-Dur auf E-Dur, auf Fis und schließlich auf Gis (As). Das ist ein recht großer Anstieg. Und in dieser Lage endet auch der Song, wir gehen nicht an den Anfang zurück, wir sind ganz in dieser neuen Tonart angekommen, in dieser neuen Region. Wir sind dorthin aufgestiegen. Auch der eröffnende engelsgleiche Chor, der mich an eine Renaissance-Polyfonie erinnert, erscheint gegen Ende des Songs erneut, nachdem der üppige Chorgesang aufhört und wir ein instrumentales Zwischenspiel hören, zu dem der Chor summt; dieser Auftakt in Form eines „Renaissance“-Chorals ist jetzt ganz von der Sprache des Gospels übernommen worden, dieser hallend und entfernt wirkende, einer anderen christlichen Tradition zugeordnete Sound, wurde neugestaltet und geerdet. Jackson hat jedoch noch keinen Trost gefunden, stattdessen hat sein Singen sich zum Sprechen reduziert, etwas, was wir bei ihm nur selten hören. Dieses Gebet – ich denke, so können wir es nennen – reicht hinab in die dunklen Winkel des Menschseins. Ich glaube, Jacksons Bekenntnis der „Gewalttätigkeit(en)“, die wir verüben, ist besonders erwähnenswert und ein in einem Popsong ungewöhnlicher, aber deutlicher Inhalt, der die anderen Emotionen und Zustände erhöht, die er aus banaler Sentimentalität heraus beschreibt.
***
Ich wollte in die Musik dieser drei Songs eintauchen, weil Jackson sich darin auf seine spirituelle Reise begibt, größtenteils indem er dabei sehr geschickt viele unterschiedliche musikalische Sprachen zitiert. Seine musikalische Reise ist dabei Metapher für die spirituelle Suche. Auf die Kurzfilme, die für diese Songs gemacht wurden, bin ich kaum eingegangen. Meiner bescheidenen Meinung nach muss ich sagen, diese Kurzfilme werden der Musik nicht gerecht. Es ist absolut sinnvoll, dass er „Give In To Me“ auf einer Konzertbühne drehen lässt, da das sicherlich für Rock- und Metal-Videos am authentischsten ist, denn es geht dort in erster Linie darum, die Fähigkeiten der Musiker bei einem Liveauftritt zu zeigen. Außerdem konnte er so Slash in das Video integrieren, was Jackson für ein Publikum, das seiner Musik sonst sicherlich nicht zuhören würde, sehr glaubwürdig machte, da Guns N’ Roses zu dieser Zeit noch immer sehr populär waren.
Doch die parallel dazu erzählte Geschichte gewöhnlicher Paar-Streitigkeiten scheint für einen Jackson Film zu simpel und verwässert sowohl die Kraft des Textes als auch der Musik. Und die Darstellung des einsamen Jackson in dem Kurzfilm zu „Who Is It“ durch erneutes Aufgreifen der Femme-Fatale-Thematik, scheint die Tiefe der Verzweiflung, mit der sich Jackson in diesem Lied beschäftigt, zu trivialisieren. Es ist jedoch durchaus möglich, dass das, was ich wirklich vermisse, Jacksons tanzender Körper ist, weshalb ich den Kurzfilm zu „Will You Be There“ als den erfolgreichsten der drei Filme sehe. Diese wunderschöne, sinnliche Choreografie, zusammen mit der erzählten Geschichte – die sich wirklich um das Teilen und die Rückforderung der Erde (eine Rückkehr dieses wichtigen Symbols) und dem, was wie ein heiliges Buch aussieht, dreht. Durch die Kostüme der Tänzer tritt in diesem Film auch Afrika wieder in Erscheinung – Jackson schien entschlossen, diesem Kontinent während dieser Zeit Präsenz zu verleihen.
Andererseits ist es ein zufälliger Film, zusammengeschnitten aus Ausschnitten der Performance des Songs bei den MTV Video Awards 1991, Konzertaufnahmen, Aufnahmen von Fans und von Jackson mitten unter Fans. Abgesehen vom Tanzen hat mich immer das Auto aus den der MTV Performance entnommenen Sequenzen beeindruckt. Dieses Auto ist da, weil genau vor „Will You Be There“ der Song „Black or White“ performt wurde. Trotz der Kontroversen über den „Panther Dance“ nach der nur zwei Wochen zuvor gezeigten Premiere des Songs, sang Jackson ihn bei der Award-Show mit diesem Auto, auf dessen Dach er tanzte, auch wenn er nicht den kompletten „Panther Dance“ darbietet. Ich denke, das wäre eine zu leichte Herausforderung für Jackson gewesen. Stattdessen verwandelt er die Performance dieses Songs in ein ausgewachsenes Metal-Rock-Fest und bedient sich abermals eines Musikgenres, um eine Aussage zu treffen. Slash performt mit ihm zusammen, und es ist diesem überlassen, die Ärgernis erregende Mülltonne von der Bühne zu kicken und am Ende seine Gitarre in das Auto zu schmettern. Vielleicht traf Jackson damit die Aussage, dass grundlose Gewalt (worauf es hier, im Gegensatz zu dem „Black or White“ Kurzfilm, hinausläuft) im Rock ’n’ Roll vollkommen akzeptabel ist und sogar bejubelt wird. Warum lässt man es bei Slash durchgehen, aber nicht bei ihm? Warum ist diese besondere Art der Rock Rebellion cool, aber Rebellion gegen Rassismus tabu? Der Rap-Teil des Songs wurde komplett herausgenommen, um viel Raum für Slashs virtuose Vorführung zu schaffen, aber wie wirkt sich das auf die wunderbare Symmetrie des Songs und das Zusammenbringen grundverschiedener Musikrichtungen, um eine Aussage zur ethnischen Harmonie zu treffen, aus? Vorbei. Aber der vielleicht außergewöhnlichste Moment kommt erst, nachdem diese extravagante Vorführung beendet ist. Jackson beginnt „Will You Be There“ zu singen, angelehnt an dieses Auto. Als ob er die subversive Kunstform des Graffiti aus der editierten Version von „Black or White“ – mit diesen grässlichen rassistischen Sprüchen – wiederverwenden wollte, lehnt sich Jackson gegen dieses komplett mit Graffiti bedeckte Auto. Die Kamera bewegt sich über das Auto hinweg, um einen einzelnen Slogan oben auf dem Dach zu zeigen: „Frauenrechte jetzt.“
***
Jackson „rang“ in seinem Werk mit „religiös geprägten, moralisch geformten und kulturell bedingten Themen“, schrieb Eric Dyson 1993; diese Themen bilden die Basis für das, was Dyson als Jacksons „eigene Vision afroamerikanischer Spiritualität“ bezeichnete.25 Diese Gruppe von Songs auf Dangerous gibt Einblick in die mit am ausgiebigsten und umfassendsten Ausdrucksformen von Jacksons spirituellen Kämpfen, sein Ringen mit der Religion, der Seele, mit Betrug und Erlösung; ernste erwachsene Themen. Was Jackson so bemerkenswert gut gelingt – hier, aber auch überall in seiner Performance – ist die Möglichkeit der Katharsis (Erlösung), von der Dyson sagt, sie sei Teil der spirituellen Signifikanz seiner Darbietungen und „schaffe Raum für kulturellen Widerstand und gewissenhaftes Handeln“.26 Jackson wusste, wie kraftvoll diese Art kathartische Performance sein konnte, 2007 sagte er, es sei genau das, was ihn an James Brown so fesselte: „Er gab eine Vorstellung, die dich fertigmachte, die dich emotional auslaugte. Seine gesamte körperliche Präsenz, das Feuer, das aus jeder Pore drang, war phänomenal. Du konntest jeden Schweißtropfen auf seinem Gesicht spüren und du wusstest, was er durchmachte.“27 Das war, was auch Jackson seinem Publikum geben wollte – er wurde zum Kanal für alle Arten von Erlösung, Erlösung im spirituellen Sinn. Interessanterweise ist eine Sache, die Jackson in dieser Gruppe von Songs erreicht – und die auch durch Rydens Cover-Kunst ausgedrückt wird – das Zusammenbringen hoher und niederer Kunsttraditionen, was uns ein weiteres Beispiel für seinen Wunsch nach Cross-over gibt, dieses Mal nicht für kommerzielle Zwecke, sondern für sozialen Zusammenhalt.
Übersetzung: M.v.d.Linden & Ilke
Kopieren des Texts nur mit Genehmigung des Bloomsbury Verlags
© Dr. Susan Fast, 2014, Michael Jackson’s Dangerous, Bloomsbury Academic, an imprint of Bloomsbury Publishing Plc.
Quellenangaben hier ausklappen
- Joseph Vogel, Man in the Music: The Creative Life and Work of Michael Jackson (New York: Sterling, 2011), 145. ↩︎
- Vogel, Man in the Music, 146. ↩︎
- Louise Tyathcott, Surrealism and the Exotic (New York: Routledge, 2003), 1. ↩︎
- Quoted in Tyathcott, 2. ↩︎
- Many thanks to Lisha McDuff for suggesting this reading. ↩︎
- Donna Haraway, “A Manifesto for Cyborgs: Science, Technology and Socialist Feminism in the 1980s,” Feminism/Postmodernism , Linda J. Nicholson (ed.) (London: Routledge, 1990), 193–4. ↩︎
- Cary Wolfe, What is Posthumanism? (Minneapolis: University of Minnesota Press, 2009), xxv. ↩︎
- Der Link http :// stelarc .org/ ?catID=20229 funktioniert leider nicht mehr. ↩︎
- Stuart Jefferies, “Orlan’s Art of Sex and Surgery,” The Guardian , July 1, 2009. ↩︎
- Der Link http :// orlan .eu/ adriensina/manifeste/carnal.html funktioniert leider nicht mehr. ↩︎
- Frank Cascio, My Friend Michael (New York: William Morrow, 2011). ↩︎
- Judith Butler, “Is Kinship Already Always Heterosexual,” Differences: A Journal of Feminist Cultural Studies 13/1 (2002): 18. Butler is talking here about debates on gay marriage, but her comments about who is or is not considered “thinkable” and “legible” extend to all kinds of non-normative lives. ↩︎
- Deepak Chopra, The Book of Secrets (New York: Harmony Books, 2004), 22, 103. ↩︎
- Deepak Chopra, Ageless Body, Timeless Mind (New York: Harmony Books, 1993), 8. ↩︎
- “Michael Jackson Was Like Krishna” excerpts from an interview on CNN Asia, transcribed in The Times of India, February 25, 2012. Thanks to Lisha McDuff for pointing me to this article and also to “Can You Feel It.” ↩︎
- Michael Jackson, Dancing the Dream (New York: Doubleday, 1992), 136. ↩︎
- “Plainsong Soars Up the Charts,” The Independent, Tuesday, March 29, 1994. ↩︎
- David Metzer, “The Power Ballad,” Popular Music 31/3 (2012): 448. The housewives quote is from David Fricke, “Heavy Metal Justice,” Rolling Stone, January 12, 1989. ↩︎
- Metzer, “Power Ballad,” 438. ↩︎
- Metzer, “Power Ballad,” 446. ↩︎
- Vogel, Man in the Music, 163. ↩︎
- A point also made by Vogel, Man in the Music, 164–5. ↩︎
- Harvey Sachs, The Ninth: Beethoven and the World in 1824 (New York: Random House, 2011), 1. ↩︎
- Sachs, The Ninth, 2. ↩︎
- Michael Dyson, “Michael Jackson’s Postmodern Spirituality,” Reflecting Black: African-American Cultural Criticism (Minneapolis: University of Minnesota Press, 1993), 38. ↩︎
- Dyson, 41. ↩︎
- Mikal Gilmore, “Triumph and Tragedy,” Michael by the Editors of Rolling Stone (New York: Harper, 2009), 14. ↩︎
-
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